“Cancel culture” ist wohl momentan einer der beliebtesten Begriffe in den sozialen Medien.
Wikipedia erklärt den Begriff wie folgt: Cancel Culture ist ein politisches Schlagwort, mit dem übermäßige Bestrebungen zum Ausschluss von Personen oder Organisationen bezeichnet werden, denen beleidigende oder diskriminierende Aussagen beziehungsweise Handlungen vorgeworfen werden.” (Quelle)
“Heutzutage darfste ja gar nichts mehr sagen – schon haste den Mob auf dir!” – so lautet der scheinbar einhellige Tenor, wenn man Twitter oder (aus Versehen auch mal) Facebook öffnet.
Dabei ist das Internet doch gefühlt voll von Diskussionen – ja besteht mindestens zur Hälfte aus ihnen. Foren, Tweets, Chats, Real-News, Fake-News, Propaganda, Podcasts und Diskussionsrunden begleiten uns im privaten (Online-)Raum beständig. Man kann ihnen nicht entkommen. Kommunikation und Austausch, ja auch Meinungsverschiedenheiten sind für uns als Menschen überlebenswichtig. Schon alleine mit Blick auf die Evolution zeigt sich: Ohne Reibung keine Weiterentwicklung.
Welchen Einfluss hat die moderne Diskussionskultur auf Unternehmen? Braucht es “ein Recht auf Diskussionen” – auch im unternehmerischen Kontext? Könnte man nicht ruhiger arbeiten, würden alle “einfach nur ihren Job machen”?
Unternehmen sind geschlossene Systeme – und keine besseren Menschen
Gerade Unternehmen tun sich sehr schwer mit einer gesunden und offenen Diskussionskultur. Kein Wunder, verfolgen sie ja vor allem den Zweck, zu produzieren und weniger den, zu diskutieren. Diskussionen stören den Betriebsablauf und die Prozesse. Genauer gesagt bedrohen sie den sogenannten ”Betriebsfrieden” oder stellen Machtverhältnisse in Frage.
Klar, Diskussionen können lähmen, können aufhalten. Aber das schöne an guten Diskussionen – im Gegensatz zur “Cancel Culture” (die es so meiner Meinung nach auch nicht gibt, denn der Absolutismus dahinter ist immer auch eingebettet in eine kaputte Diskussionskultur) ist, dass man sich in einer guten Diskussion auch auf den Standpunkt des anderen einlässt.
Indem man durch geschicktes Argumentieren seine eigenen Sichtweisen noch einmal verdeutlicht und – das ist wohl das Wichtigste – zu einer gemeinsamen Lösung findet, wird man sich selbst und den Standpunkten der anderen Seite bewusster. So kann in einer idealen Welt voneinander gelernt werden. Die Einstellungen und Sichtweisen der anderen bei den eigenen Entscheidungen vorauszuahnen, zu berücksichtigen und zu verargumentieren – das ist wohl die Kür guten Managements. Einen möglichste hohen Konsens zu erreichen, das geht nur, wenn man sich vorher mit den Beteiligten, ihren Interessen und Einstellungen auseinandersetzt.
Kann es eine perfekte Diskussionskultur in Unternehmen geben?
Reicht eine Mitarbeiterbefragung schon aus, um unterschwellig brodelnde Themen ans Licht zu holen? Ist der Betriebsrat das probate Mittel, um in betrieblichen Diskussionen als “Stimme der Mitarbeiter*innen” aufzutreten? Muss wirklich alles diskutiert werden? Gehört Parteipolitik ins Unternehmen, oder anders: Kann sie außen vor gelassen werden?
Zuletzt hat sich bspw. das amerikanisches Vorzeige-Startup Basecamp dazu entschieden, komplett “politikfrei” zu arbeiten, nachdem eine fragwürdige Liste mit “lustigen” Kundennamen aufgetaucht war, in deren Schatten es einige Diskussionen über Diversity & Inlcusion im Unternehmen gab.
Als Folge der aus dem Ruder gelaufenen Diskussion, gab es einen vom Management verordneten Maulkorb: Ab sofort solle es keine politischen Diskussionen mehr im Unternehmen geben. Viele Mitarbeiter*innen sahen sich dadurch tief verletzt – hatten sie sich doch genau wegen der liberalen und offenen Unternehmenskultur für diese Firma entschieden. Ein Mitarbeiter brachte das Dilemma relativ gut auf den Punkt: ““How do you talk about raising kids without talking about society? As soon as I bring up public schools, then it’s already political.” (Quelle)
Diskussionskultur als Teil der Unternehmenskultur verankern
Wie kann eine gute Diskussionskultur im Unternehmen etabliert werden? Ich glaube, dass eine gesunde Diskussionskultur in Unternehmen vor allem von zwei Faktoren gekennzeichnet wird: Von Angstfreiheit und einem gemeinsamen “Diskussions-Rahmen”.
Die Angstfreiheit zeichnet sich dadurch aus, dass in einer gesunden Kommunikationskultur niemand befürchten muss, aufgrund einer gegenteiligen Meinung Repressionen erleiden zu müssen. Dass niemand Angst davor haben muss, etwas “Dummes” oder “Unqualifiziertes” zu sagen – weil Meinungen grundsätzlich willkommen sind und angehört werden.
Unter dem zweiten Element, dem “Diskussions-Rahmen”, verstehe ich eine Art Wertesystem, in dem die Diskussionen stattfinden. Dieses Wertesystem hat die Aufgabe, diskriminierende, gewaltvolle und radikale Diskussionen zu unterbinden. Das kann nur funktionieren, wenn alle, die sich in diesem System befinden, diesen gemeinsamen Rahmen ausgehandelt haben. Der Rahmen, welcher die Grenzen und Spielräume der Diksussionskultur setzt, ist also aus den Bedürfnissen und Meinungen aller Mitarbeiter*innen und Manager*innen entstanden und gemeinsam ausgehandelt und verabschiedet worden. Wie wird diskutiert? Was wird diskutiert?
Dieser Prozess dauert wahrscheinlich am längsten, aber auf dem Weg dahin ist schon so viel Diskussionskultur aufgebaut worden, dass gute Grundpfeiler gesetzt wurden. Dabei wird schnell klar werden, dass der Rahmen nicht unumstößlich bleibt, sondern mit der (Diskussions-)Kultur mitwachsen und sich auch ggfs. verändern muss.
Die Kür ist es dann sicherlich, Angstfreiheit und “Diskussions-Rahmen” so zu übersetzen, dass auch neue Mitarbeiter*innen schnell ein Gefühl für die Wirkweise bekommen und sich selbstsicher in der Diskussionskultur bewegen können.
Sollte man “schlechte Diskussionen” bestrafen oder unterbinden?
Vor allem ist es für eine gesunde Diskussionskultur wichtig, dass “Verstöße” gegen den “Diskussions-Rahmen” nicht mit Missachtung bestraft werden, sondern dass auch über Verfehlungen diskutiert und gesprochen werden kann. Eine gesunde Diskussionskultur entwickelt sich weiter. Daher ist das beliebte Internet-Argument, „dass man heute ja nichts mehr sagen dürfe” auch meiner Meinung nach obsolet.
Die demokratische und diskussionsbereite Gesellschaft bleibt nicht stehen, sondern entwickelt sich – auch intellektuell – weiter. Es ist unsere Aufgabe – egal ob als Bürger*innen in einer Demokratie, oder als Mitarbeiter*innen oder Funktionsträger*innen eines Unternehmens, Diskussionskultur lebendig, gerne auch kontrovers, aber eben Konsens-orientiert zu halten.
Dabei gibt es (meiner Meinung nach) aber auch klare Grenzen, die alleine schon unser Grundgesetz und die Demokratie, in der wir leben, aufzeigen. Menschenverachtendes, frauenfeindliches, oder rassistisches Gedankengut hat meiner Meinung nach keinen Platz in einer gesunden Diskussionskultur. Wer auf reine Spaltung und Chaos auf Kalkül aus ist, hat sich einer ausgewogenen Diskussion nicht nur verwehrt – gegenteilige Meinungen interessieren ihn oder sie ohnehin nicht mehr.
Was sagt ihr?
Ist eine Diskussionskultur in Unternehmen wichtig? Welche Schritte kann man gehen, um eine angstfreie Diskussionsmentalität zu etablieren? Oder glaubt ihr: Es wird eh schon genug diskutiert!
Muss wirklich alles diskutiert werden? Gehört Parteipolitik ins Unternehmen, oder anders: Kann sie außen vor gelassen werden?Ich freue mich auf eure Meinungen und auf die Diskussion mit euch!
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