Triggerwarnung: Das folgende Interview dreht sich um das Thema Trauer und Tod. Es werden konkrete Beispiele genannt, wir sprechen aber auch über Lösungsvorschläge und Hilfsmöglichkeiten. Unter https://www.telefonseelsorge.de/ erhältst du Hilfe und Unterstützung, falls dich das Thema sehr bewegt.
Das folgende Interview ist ein „echter Kracher“. Emotional wie inhaltlich. Ich habe nur einige wenige redaktionelle Änderung daran vorgenommen, weil es in seiner Wucht und Fülle (meiner Meinung nach) genau so bleiben muss, wie es jetzt ist. Ich habe mir im Vorfeld überlegt, ob ich es ob der Länge in zwei Teilen veröffentlichen soll. Aber das ist Quatsch und wird meiner Meinung nach dem wertvollen Inhalt und dem Themenkomplex nicht gerecht.
Dass das Interview überhaupt statt fand, war ein langer Weg. Nikola Gazzo, mit der ich das folgende Interview führe, wurde mir von einem gemeinsamen Bekannten per Mail vorgestellt. Nikola hat das Buch von Jannis und mir („HR True Story“) gelesen und mich gefragt, weshalb darin eigentlich kein Kapitel zu Trauer und Tod am Arbeitsplatz zu finden sei…
Dabei hätte ich selbst eigentlich schon genug Stoff für ein Kapitel. Ich habe bereits sehr früh in meiner Karriere zwei mir nahestehende Kolleg*innen verloren. Verena, eine junge Kollegin und Freundin, die Anfang 30 sehr unerwartet mitten in ihrem Arbeitstag zunächst ins Koma fiel und dann verstarb – und bei der ich erst im Nachhinein begriff, welch großen Stellenwert ich in ihrem Leben hatte. Und Stefan, einen Kollegen und Familienvater, der langsam und quasi für alle sichtbar an einem Krebsleiden verstarb. Der für mich eine wichtige berufliche Stütze und Ratgeber war und immer liebe Worte oder einen Witz nach einem anstrengenden Tag parat hatte.
Die kurzen Abstände zwischen diesen beiden Ereignissen und den Umgang, den ich selbst sowie die Kolleg*innen damit gewählt hatten, habe ich lange verdrängt. Daher war das Interview auch eine längere Geschichte. Ein paar Mails und Telefonate mit Nikola erstreckten sich über ein gutes halbes Jahr. Sehr ungewöhnlich für mich, die ich Dinge gerne „schnell erledige“. Ich wollte mich dem Thema unbedingt nähern aber ich wusste: Für mich hieß das, mich mit Dingen in meiner Vergangenheit zu beschäftigen, die ich gerne lieber verdrängen würde.
Trauer und Tod – so schon schwer genug. Trauer und Tod am Arbeitsplatz – noch schwieriger. Themen, von denen jede*r Personaler*in hofft, an ihnen vorbeizuschrammen. Aber – es klingt abgedroschen, ist aber nunmal wahr: Der Tod gehört zum Leben. Und einen Großteil unserer Lebenszeit verbringen wir mit oder auf der Arbeit.
Auch ich musste in meiner HR-Rolle schon eine Mitarbeiterin trösten, deren bester Freund sich selbst das Leben genommen hatte. Die Nachricht seines Todes traf sie am Arbeitsplatz. Es war für mich auch ein schrecklicher Tag, aber ich funktionierte, wie ich sollte. Welche Kraft mich der Vorfall kostete, offenbarte sich erst am Abend, als ich bei einem eigentlich gemütlichen Essen mit einer Freundin überstürzt das Restaurant verlassen musste. Ich wollte alleine sein. Sofort.
Wie soll man also mit diesem großen „Lebensthema“ Tod und Trauer im beruflichen Kontext umgehen? Was kann man als HRler*in tun?
Dazu habe ich Nikola Gazzo nun endlich ausführlich befragt. Nikola ist hauptberuflich als Business und Personal Coachin in der Kreativwirtschaft unterwegs, aber arbeitet auch als Beraterin und Trainerin für Trauerarbeit und Resilienz. Darüber hinaus hat sie als Co-Autoroin ein Buch zur Trauerarbeit geschrieben. Sie hat 2014 ihren ältesten Sohn Frédéric verloren, der an den Folgen eines Badeunfalls in der Karibik starb und nur 21 Jahre alt wurde.
Warum sie sich in einem Bereich engagiert, dem andere lieber aus dem Weg gehen, was Nikola Personaler*innen raten würde – und was sich Trauernde von ihrem Arbeitgeber in solchen Situationen wünschen. Darüber habe ich mit Nikola gesprochen. Das Interview enthält viele Gedankenanregungen, konkrete Vorschläge und einen tiefen Einblick in Trauer und Trauerarbeit.
Nikola, schön dass du dich für das Interview bereit erklärt hast.
Was glaubst du: Wo stehen wir in Deutschland bei dem Thema Umgang mit Tod und Trauer? Hat sich da – vielleicht auch in den letzten 20 Jahren – etwas verändert?
Ich glaube da hat sich sehr viel geändert. Einmal auf dem Gebiet des Verständnisses hinsichtlich des Begriffs „Trauer“ und „Sterben“. Die Pionierin zu diesem Thema war ja die schweiz-amerikanische Psychiaterin Elizabeth Kübler-Ross die ihr Buch „On death and dying“ bereits 1969 geschrieben, und damit das Thema wieder etwas mehr in die Mitte unserer westlichen Gesellschaften gerückt, und weltweit sehr viel positive Aufmerksamkeit errungen hat. In diesem Buch beschreibt sie die 5 Phasen des Sterbens, die heutzutage zum Standardwissen in Psychologie und Psychiatrie gehören, und die auch Trauerbegleiter und Seelsorger kennen lernen.
Kurz gesagt sind diese 5 Phasen : Verdrängung, Wut, Verhandlung, Verzweiflung, Akzeptanz. Aus diesen 5 Phasen des Sterbens sind dann bei Verena Kast interessanterweise die 5 Phasen des Trauerns gerworden, die sie in ihrem Buch „Trauern“ aus dem Jahr 2001 aufgenommen hat. Als Resilienz Coachin, in meinen Beratungen oder als Trainerin, verwende ich dieses 5 Phasenmodell ebenfalls, da es sehr gut veranschaulicht, durch welche Stadien jegliche Verabschiedung bzw. Trauer führt: Verabschiedung von Gesundheit und Belastbarkeit, z.B. im Falle von burn-out, von Erfolg, vom Arbeitsplatz etc. bis hin zur tragischen Verabschiedung von geliebten Menschen.
Die Kolleg*innen von Kübler-Ross waren damals übrigens gar nicht begeistert, dass sie als Forscherin die Themen Sterben, Tod und Trauer in die „Tempel der Wissenschaft“ d.h. die Krankenhäuser gebracht hatte, und ich würde sagen, dort hat sich nicht so viel verändert. Aber immerhin hat man sich mit diesen Themen wieder beschäftigt, wenn auch „ausgelagert“ d.h. die Hospize dafür zuständig gemacht. Wohlgemerkt kam die Hospiz-Bewegung nicht von Ärzt*innen, sondern vorwiegend vom pflegenden Personal in den Palliativstationen. Das erste Hospiz entstand 1967 in England, das Hl.Christopherus Hospiz in London.
In Deutschland waren für diese Themen überwiegend die Kirchen zuständig und so ist es nicht erstaunlich, dass das erste Hospiz von einem Priester, aber erst 1986, in Aachen gegründet wurde. Dieser englischen Hospizbewegung hatten sich aber auch in Deutschland schon in den späten 60er Jahren Pfleger*innen und Ärzt*innen angeschlossen und in den Krankenhäusern sogenannte Palliativstationen eingerichtet.
Da ich sehr viel zu diesen Themen gelesen habe und lese, ist mir aufgefallen, dass viele Bücher, die zu „Bestsellern“ auf dem deutschen Markt wurden, erst so ab den 2000er Jahre geschrieben wurden. Das beantwortet damit auch Deine Frage, ob und was sich in den letzten 20 Jahren verändert hat. Ich nenne nur mal neben Kübler-Ross und Vera Kast noch ein paar wenige dieser sogenannten Bestseller: „Trauern heisst lieben“ von Anselm Grün, 2014, „Das Zeitliche segnen“ von Margot Kässmann, auch 2014, und das für uns Trauernde sehr wichtige Buch von Roland Kachler „Meine Trauer wird Dich finden“ aus dem Jahr 2005. Ich sage deshalb, dass dieses Buch so wichtig für „uns Trauernde“ ist, weil es ein Plädoyer gegen den Begriff des „Loslassens“ ist und die so wichtige Erkenntnis beinhaltet, dass Trauer nie aufhört, dass man geliebte verstorbene Menschen nie loslassen kann, muss oder soll, aber dass sich die Trauer verwandelt, wie Anselm Grün eben sagt: Die Trauer ist ein Beweis für die Liebe, die ja nie aufhört.
„Das ist vielleicht einer der unverständlichsten Punkte für Nicht-Betroffene und eben auch für Personaler*innen: Dass Trauern kein Ende hat, dass Trauer keine Krankheit, sondern ein langer, schwieriger Prozess ist und es dafür in den Firmen unbedingt mehr Aufklärung bedarf.“
Nikola Gazzo, Beraterin und Trainerin für Trauerarbeit und Resilienz
“Irgendwann geht alles vorbei” – das ist ja ein Spruch, mit dem viele von uns aufwachsen. Der Satz spendet vielleicht auch ein wenig Trost in manchen Situationen – bei Liebeskummer allemal.
Aber du hast es ja schon gesagt: Die Trauer, die hört niemals auf…
Das ist vielleicht einer der unverständlichsten Punkte für Nicht-Betroffene und eben auch für Personaler*innen, dass Trauern kein Ende hat, dass Trauer keine Krankheit, sondern ein langer, schwieriger Prozess ist und es dafür in den Firmen unbedingt mehr Aufklärung bedarf.
Deshalb noch ein paar Sätze zur Bewegung der Trauergruppen, über die HRler*innen unbedingt Kenntnis haben sollten:
Die weltweit verbreiteten Trauergruppen haben eine ähnliche Entwicklung wie die Hospizbewegung hinter sich : die erste Trauergruppe „The compassionate friends“ wurde ebenfalls 1969 in England gegründet, daraus folgten diverse Trauergruppen in den USA, infolge des Vietnam Krieges. Jetzt gibt es viele spezifische Trauergruppen, z.B. Angehörige von Gewalt und Terroropfern, Angehörige um Suizid, Eltern von Sternenkindern, d.h. Totgeburten oder sehr früh verstorbene Babies, etc.
In Deutschland wurden diverse Trauergruppen 1997 unter dem Dachverband VEID e.V. (Verwaiste Eltern in Deutschland) vereint, in dem ich auch Mitglied bin. Mit den Sozialen Netzwerken haben sich übrigens viele Trauergruppen auch ins Netz verlegt, etliche gibt es bei Facebook und Instagram.
Seit 2011 gibt es auch die analogen „Death Cafés“ weltweit, die ein schweizer Anthropologe und Sozialwissenschaftler 2004 gegründet hat. Dort geht es darum, offen über den Tod und das Sterben zu sprechen. Auch in Berlin gibt es sie. Es gibt auch eine Menge Blogs, die sich mit dem Thema auseinander setzen: In lauter Trauer , Dein Tod und ich , Wir sind noch hier oder auch der Bestatter Blog.
A propos Bestatter, in Berlin gibt es ja seit ein paar Jahren den Bestatter Eric Wrede, der eigentlich aus der Musikszene stammt und der die Bestattungsinstitution lebensnah- Bestattungen gegründet hat. Er hatte festgestellt, wie unwürdig Verstorbene im Krankenhaus behandelt wurden und plädiert für eine respektvolle Behandlung der Toten bis zum allerletzten Akt. Diese Unmenschlichkeit und Industrialisierung im Krankenhaus prangert auch Michael de Ridder an, der 2011 das Buch „Wie wollen wir sterben“ geschrieben hat und darin beschreibt, wie katastrophal inhuman es auf Intensivstationen zugeht.

Das Thema Intensivstationen wurde ja in der aktuellen Pandemie in ein neues Spotlight gerückt…
Seit der Corona-Krise bekommen wir täglich oder fast stündlich Bilder von Intensivstationen in unsere Wohnzimmer geliefert und ich plädiere dafür, dass auch hier, auf den Intensivstationen, die ja letztendlich auch Arbeitsplätze sind, mehr Achtsamkeit im Umgang mit Sterbenden und dem Pflegepersonal eingeführt wird.
Auch hier wäre eine Beratung, wie man die Resilienz des z.T. schwer traumatisierten Klinikpersonals stärken könnte, dringend von Nöten, anstatt sie zu beklatschen. Wahrscheinlich bin ich etwas „zu“ sensibilisiert für diese Themen, aber ich lese und höre auch sehr viel in den Medien wie Presse und Radio in letzter Zeit, zum Thema Tod und Sterben, darauf komme ich später vielleicht noch…
Aber um deine Anfangsfrage , ob sich in den letzten Jahrzehnten etwas verändert hat, erstmal abschließend zu beantworten : Ja, es hat sich viel getan in den letzten 20 Jahren – vielleicht zunächst mal eher in der Theorie als in der Praxis, aber der erste Schritt, diese Themen wieder in die Mitte der Gesellschaft zu bringen, ist getan.
Wenn man mit dir spricht, dann hört man eine lebenslustige, freundliche und aufgeweckte Person. Wie bist du zu dem Thema Tod und Trauer gekommen?
Also zu dem Thema Tod und Trauer bin ich eigentlich recht früh gekommen, genauer gesagt als ich 18 Jahre alt war, als 1979 ein sehr enger Freund unserer Familie mit 43 Jahren an einem Schlaganfall starb. Das überfiel uns mit einer sehr grossen Wucht. Seine Lebenspartnerin ging damals bei uns zuhause ein und aus und wir litten so richtig mit ihr mit.
Das fing schon damit an, dass sie als unverheiratete Lebenspartnerin nicht auf die Intensivstation durfte, wo er seine letzten Stunden verlebt hat; sie hatte dann auch in allen anderen Bereichen null Mitspracherecht: Beerdigung, Zeremonie, Ort seines Begräbnisses etc. Die Familie war unseren Empfinden nach auch nicht sehr einfühlsam ihr gegenüber. Ich erinnere mich sehr gut an ihre letzte verzweifelte Geste, die ihre Liebe zu ihm zeigen sollte: Sie kam mit einem riesen großen Korb roter Rosen zur Aussegnungshalle, also dort, wo man sich am offenen Sarg verabschiedet und tauchte ihren Geliebten in rote Rosen und tränenüberströmt berichtete sie uns, dass keiner von seiner Familie ihm irgendetwas mitgegeben hätte…
Ich fand das damals ein wenig befremdlich, aber als ich viel später in Kairo studierte und den ägyptischen Totenkult so richtig kennenlernte, begriff ich, was sie damit meinte und wie wichtig ein harmonischer Abschied ist. Für das Abschiednehmen hat man sich ja früher auch viel mehr Zeit genommen, da wurden die Toten zuhause aufgebahrt, Familie und Nachbarn kamen, die Kinder wurden nicht weggesperrt, um sie vor wer weiß was zu schützen etc.
Ja und diese Freundin der Familie brachte damals auch die Bücher von Kübler-Ross in unsere Familie – meine Eltern haben sie gelesen und viel darüber diskutiert. Das Buch “ Was der Tod uns lehren kann“ viel besser auf englisch: „Death: the finale stage of Growth“ – ist ein fantastisches Buch, das mich auch später sehr getröstet hat. Wie übrigens diese Freundin und frühe Witwe mich auch sehr getröstet hat, als ich selbst in akuter Trauer war: Sie wusste genau, was zu tun war, wie ich drauf war, rief immer wieder an – egal ob ich ans Telefon ging oder nicht – immer wieder versuchen, die in der akuten Trauer steckende Person egal wie zu erreichen – das ist zu tun, und das wusste sie.
Und dass ich eine freundliche und lebenslustige Person bin, trotz meiner andauernden tiefen Trauer um meinen Sohn, das will ich ja wohl hoffen (lacht) ! Da wäre Frédéric schön sauer, wenn ich wegen ihm griesgrämig und schlecht gelaunt durch die Welt ginge. Aber Spaß beiseite – es ist jetzt 6 Jahre her (am 1.12.2014 ist er verstorben) und seitdem bin ich natürlich durch viele Jammertäler gegangen. Und die Zeit heilt diese Wunde nicht… aber meine Trauer ist anders, vielleicht ein klein bisschen „leichter“ geworden.
„Und ehrlich gesagt, man fühlt sich aufgehoben und verstanden nur mit Menschen, die dasselbe durchgemacht haben oder durchmachen. Und deshalb sind die Trauergruppen auch immer noch so wichtig für mich, auch nach jetzt bald 6 Jahren…“
Nikola Gazzo, Trauerbegleiterin
Welche Erfahrungen hast du in deiner eigenen Trauer gemacht? Hast du dich gerade in der ersten Zeit von deinem Umfeld verstanden und aufgehoben gefühlt? (Oder war dir das das vielleicht auch da noch gar nicht wichtig…)
Ganz richtig, deine Vermutung, das war mir überhaupt nicht wichtig ! Ich hatte überhaupt keine Zeit über mich oder irgendetwas nachzudenken. Man handelt ja nur mechanisch. Und ich habe mir so viele Sorgen gemacht: um meine drei anderen Söhne, wie es meinen Eltern damit geht (Frédéric war ihr erster Enkel), meine besten Freundinnen, die ihn auch so gemocht haben, seine zahlreichen Freund*innen, bei denen er sehr, sehr beliebt war etc. und es war so wahnsinnig viel zu organisieren…
Erst sehr viel später, einige Monate sicherlich, bin ich mir bewusst geworden, was das jetzt bedeutet…eigentlich ein komplett neues und anderes Leben… Eine Freundin aus Paris sagte mir ein paar Wochen nach seiner Beerdigung: „Das ist der erste Tag vom Rest Deines Lebens“, der Titel eines Chansons von Etienne Daho („tout peut changer aujourd’hui et le premier jour du reste de ta vie“) – also dem Satz geht die Aussage vor „Alles kann sich heute verändern“; und das macht es auch so schwierig, mit der Trauer zu leben: Man bekommt das unerbittliche Bewusstsein eingepflanzt, dass von einer Sekunde auf die andere sich das Leben komplett verändern kann, dass der Tod vom Leben nicht trennbar ist, dass er immer „mitfährt“ sozusagen und nicht nur auf dem Fahrrad, im Auto oder am Arbeitsplatz, nicht nur auf Intensivstationen…einfach überall und immer!
Und ehrlich gesagt, man fühlt sich „aufgehoben und verstanden“ nur mit Menschen, die dasselbe durchgemacht haben oder durchmachen. Und deshalb sind die Trauergruppen auch immer noch so wichtig für mich, auch nach jetzt bald 6 Jahren…
Wie hast du es geschafft, deine Trauer in eine positive Schaffenskraft zu wandeln? Gab es dafür einen Auslöser?
Gerade dieses Bewusstsein, bzw. diese Erkenntnis, dass der Tod zum Leben gehört, dass der Tod die Rückseite der Medaille des Lebens ist und immer, immer dabei ist – das hat mir Kraft und eine positive Einstellung gegeben. Es sind zig Bücher, auch viele philosophische zu diesem Thema geschrieben worden, etwa wie Kübler-Ross, die sagt, dass der Tod uns viel lehren kann. Das steht übrigens auch schon in der Bibel, in einem ganz „einfachen“ Psalm: Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden (Psalm 90,12). Das war sogar das Motto des Kirchentags 2015 in Stuttgart, nur, dass sie es auf den Halbsatz „…auf dass wir klug werden“ verkürzt hatten, was ich damals sehr schade, aber leider auch etwas typisch und auch feige von der Kirche fand, den Appell, „lehre uns bedenken dass wir sterblich sind“, wegzulassen…
Aber was mir mega geholfen hat, und das ist ja auch unser Thema hier, das war mein Job! Ich arbeitete ja als Coachin und Trainerin viel mit Menschen, und es sind die Menschen, die mir geholfen haben, das Positive zu sehen und meine positive Schaffenskraft zu spüren. Ja, ich war plötzlich nicht mehr die erfolgreiche Coachin und Trainerin – ich war eine trauernde Mutter, aber ich habe das irgendwie integriert – nicht sofort natürlich, da war der Job erstmal Ablenkung – aber später wurde ich mutiger und habe meine Trauer einfach mitspielen lassen, mitwirken lassen – in meinen Fragen, in meinen Reaktionen auf meine Coachees…
Man muss sich das mal vorstellen: der 21-jährige Sohn ist verstorben, der 14 Jährige geht weiter tapfer zur Schule, ein Sohn hatte gerade sein Studium in Süddeutschland begonnen und einer hat sich auf den Weg in die USA gemacht, um sein erfolgreich ergattertes Sportstipendium anzutreten. Da kann sich doch die Mutter nicht die Bettdecke über den Kopf ziehen und sagen, sie habe keine Kraft zum Weiterleben oder so was!
„Natürlich haben wir alle unsere Kräfte sammeln müssen, um dieser dramatischen Situation gerecht zu werden. Das hat wahnsinnig viel Kraft und Energie gekostet! Und gerade das gibt es auch zu berücksichtigen, als Personaler*in oder HRler*in, dass man wirklich kräftemäßig und energetisch eingeschränkt ist – aber trotzdem den Rahmen, den Arbeitsplatz, den Arbeitsalltag und die Strukur der Arbeitsabläufe so dringend braucht!“
Nikola Gazzo, berät Unternehmen zum Thema Trauerarbeit
Und Frédéric hat sich ja das auch nicht so ausgedacht, als er verunglückte, dass sein tödlicher Unfall alles total durcheinander bringt, unser aller Leben, unsere ganzen Pläne! Natürlich haben wir alle unsere Kräfte sammeln müssen, um dieser dramatischen Situation gerecht zu werden. Das hat wahnsinnig viel Kraft und Energie gekostet! Und gerade das gibt es auch zu berücksichtigen, als Personaler*in oder HRler*in, dass man wirklich kräftemäßig und energetisch eingeschränkt ist – aber trotzdem den Rahmen, den Arbeitsplatz, den Arbeitsalltag und die Strukur der Arbeitsabläufe so dringend braucht!
Aber ja, ich verstehe total, dass Mamas, die ihr einziges Kind verloren haben, die z.B. im Lehrerberuf sind und Gleichaltrige wie das verstorbenen Kind unterrichten müssen… das geht gar nicht, logisch ! Und für solche Fälle greift ja dann das « Hamburger Modell », das hoffentlich alle Personaler*innen kennen.
Aber der wahre Auslöser, also mich mit diesem Thema selbständig zu machen, war die große Sinn-Frage, die sich m.E. alle verwaisten Eltern stellen: Wie kann ich dem Tod meines Sohnes einen Sinn abringen? Was kann ich tun, dass ich mit dieser speziellen Erfahrung Sinnvolles tue? Nicht wahr, ich könnte, wie es auch viele machen, mich als Trauerbegleiterin einsetzen lassen – die Weiterbildung dazu habe ich auch gemacht-, oder als Seelsorgerin ehrenamtlich tätig sein etc. Manche gründen Stiftungen, spenden an Hospize etc. Wir „verdanken“ z.B. den verwaisten Eltern von Björn Staiger, der vor 51 Jahren 8-jährig starb, weil der Rettungswagen zu spät kam, dass sie den Notruf 112 erfanden, und die „Björn Staiger Stiftung“ ins Leben gerufen haben.
Das ist natürlich mega sinnstiftend, die Staigers haben durch ihr Engagement – und die waren richtig hartnäckig, das bundesweit einzuführen – zig Leben gerettet seither und ich bin mir sicher, dass der kleine Björn sehr stolz auf seine Eltern ist. Aber diese Eltern vermissen ihren Jungen heute immer noch sehr, natürlich.
Mein Job beinhaltet ja, Künstler*innen bei der Eigenvermarktung zu helfen, sodass sie von der Kunst leben können. Das ist zwar auch eine Mammuth-Aufgabe, das hat aber nichts mit MEINER Motivation zu tun, etwas Sinnstiftendes zu tun, was mit meiner Trauer zusammenhängt.
Also wurde mein Thema mehr Menschlichkeit an den Arbeitsplatz zu bringen, weil meine Erfahrungen als trauernde Mutter am Arbeitsplatz z.T. auch nicht schön waren. Dann habe ich auch eine Tendenz wahrgenommen, die u.a. mit dem Fachkräftemangel und der Digitalisierung in unserer Wirtschaft zusammenhänge: Firmen müssen sich heutzutage viel mehr bemühen, Personal an sich zu binden und vermeiden, dieses Personal zu „verheizen“. Dass sie es tun, zeigen ja die hohen Zahlen an Burn-out-Patienten. Und deshalb gibt es ja seit ein paar Jahren Weiterbildungen in der „betrieblichen Gesundheitsförderung“, dem „betrieblichen Gesundheitsmanagement“, das „Hamburger Modell“ zum beruflichen Wiedereinstieg nach langer Krankheit und seit kurzem auch den „Wohlfühlmanager“ sowie Achtsamkeits –und Yogakurse in der Mittagspause etc. in Firmen. Das geht m.E. sehr in die richtige Richtung, aber ein Thema, das so alt ist wie die Menschheit, die Trauer, wird immer noch ausgeklammert bzw. tabuisiert !
„Deshalb wünsche ich mir, dass HRler*innen das verstehen, diese Gratwanderung, die man in der akuten Trauer macht (…): Wir brauchen den Job, aber wir sind mega verletzlich, geschwächt, empfindlich – und schräg.“
Nikola Gazzo, Autorin, Trainerin & Coachin
Wie sollten sich Personaler*innen verhalten, wenn Mitarbeiter*inne noch in einer akuten Trauerphase sind?
Im guten Umgang mit Trauer am Arbeitsplatz sollten sich HRler*innen natürlich auf die Trauernden ganz individuell einstellen. Ich mache mal ein paar Beispiele :
Eine leitende Bankangestellte, die ihren 8-jährigen Sohn verloren hat, kann natürlich eine Zeitlang als Führungskraft nicht mehr belastet werden, und schon gar nicht in Bezug auf Investitions- oder Kreditberatungen, für die man hohe Konzentration, schnelles Wissen und Denken braucht. Aber sie möchte im Job bleiben, hat ein zweites Kind, will « in der Spur » bleiben : Also versetzt man sie – nach genauer Absprache natürlich – auf einen geschützteren Posten ohne Publikumsverkehr, wo auch mal die Tränen fließen dürfen.
Eine andere Situation hat mir ein Leiter einer großen Autohausfiliale erzählt, dessen jugendliche Stieftochter an Krebs gestorben war : Nachdem ein Kunde bzw. potentieller Käufer ihn stundenlang mit Fragen nach Details von unwichtigen Sonderausstattungen genervt hatte, brach es aus ihm heraus : « Was kann denn daran so wichtig sein, ob und wie ein Handschuhfach sich bequem öffnen lässt oder nicht – ich habe gerade meine 15-jährige Tochter verloren und Sie stellen solche Fragen… » …ein Mitarbeiter erkannte das Dilemma und hat dann das Verkaufsgespräch zu Ende geführt.
Deshalb wünsche ich mir, dass HRler*innen das verstehen, diese Gratwanderung, die man in der akuten Trauer macht, d.h. ich möchte es ihnen unbedingt so begreiflich wie möglich machen, das ist für mich ein ganz grosses Thema: Wir brauchen den Job, aber wir sind mega verletzlich, geschwächt, empfindlich – und schräg (rollt mit den Augen).
Ich kann mich noch gut erinnern, als ich eine alleinerziehende Schauspielerin – Stand-up-Comedian- im Coaching hatte. Sie war echt auch in einer schwierigen Situation, verdiente sich ihr Zubrot in Shows auf Kreuzschiffen, das Kind war gerade schulpflichtig geworden etc. Sie war verzweifelt, wie es finanziell weitergehen sollte – und dann spielte sie mir aus heiterem Himmel eine ihrer Comedy-Szenen vor – sie als Nagelstudio-Tussi. Und ich brach – vielleicht 6 Wochen nach Frédérics Tod – in schallendes Gelächter aus! Ich habe mich so erschrocken und mir die Hand vor den Mund gehalten– wie kann man als frisch trauernde Mutter denn einfach so los lachen?! Irgendwie haben wir uns ohne uns zu erklären verstanden; es war ein toller Moment der Komplizenschaft – sie hatte keine Ahnung von meiner Situation. Aber diese Momente im Job waren Gold wert, und das möchte ich auch, dass Personaler*innen das wissen!
Wie sieht es eigentlich mit der Gesetzgebung aus – haben trauernde Eltern da irgendwelche Schutzrechte oder gibt es für sie Sonderregelungen?
In Deutschland sind 2 Tage Urlaub bei Trauerfällen gesetzlich vorgeschrieben, Institutionen mit Tarifverträgen geben 3 Tage und jeder privatwirtschaftliche Betrieb kann natürlich individuell entscheiden und mehr geben.
Eine kleine Revolution fand übrigens Anfang dieses Jahr in Frankreich, kurz vor der Koronakrise statt, und zwar im Zusammenhang mit der Gesetzgebung um Sonderurlaub für verwaiste Eltern:
Ein französischer Abgeordneter, ein verwaister Vater, reichte bei der Nationalversammlung in Paris einen Gesetzesentwurf ein, der den Sonderurlaub bei verstorbenen nächsten Verwandten von 5 Arbeitstagen, für verwaiste Eltern auf 8 Arbeitstage verlängern sollte. Der Vorschlag wurde abgelehnt und von der Arbeitsministerin noch mit dem sehr unpässlichen Kommentar, « jetzt müssten die Arbeitgeber wieder herhalten und für solche Fälle zahlen » versehen. Der Fall ist deshalb interessant, weil die Ablehnung der Nationalversammlung mit sehr viel Enthaltungen zustande kam, was beweist, wie verunsichert auch Politiker mit dem Thema Tod und Trauer am Arbeitsplatz sind.
„Zum Thema Totgeburt: Ich habe auch von einer Personalerin gehört, die den Urlaubsantrag eines Mitarbeiters genehmigen musste und daraufhin kommentierte, sie verstehe das nicht. Nicht er, sondern seine Frau hätte doch die Totgeburt erlitten…“
Nikola Gazzo, berät HR zum richtigen Umgang mit Tod & Trauer
Ich weiß nicht, ob der französische Abgeordnete ihrem Beispiel folgte, aber in Großbritannien hat eine verwaiste Mutter 10 Jahre darum gekämpft, dass im April 2020 ein Gesetz in Kraft trat, das den Sonderurlaub bei verstorbenen minderjährigen Kindern von 5 Tagen auf 14 Tage erhöht, eingenommen bei Totgeburten. Das Gesetz wurde nach dem kleinen Jack genannt „Jack’s law“, der als Kind vor 10 Jahren gestorben ist. Das wichtigste für diese verwaiste Mutter war: „postive change will happen in his memory“ ( positive Veränderungen werden in seinem Namen und in seiner Erinnerung geschehen) – da sind wir wieder bei Björn Staiger – dem Sinn, den der Tod unserer Kinder der Nachwelt geben soll.
Zum Thema Totgeburt: Ich habe auch von einer Personalerin gehört, die den Urlaubsantrag eines Mitarbeiters genehmigen musste und darauf kommentierte, sie verstehe das nicht, nicht er sondern seine Frau hätte doch die Totgeburt erlitten. Das ist doch monströs, oder ?
Und übrigens ist die besagte französische Arbeitsministerin beim Regierungswechsel Macrons letzten Sommer abgewählt worden.
Du bist in vielen Berliner Trauergruppen unterwegs. Gibt es eine Art “Gemeinsamkeit”, die alle Trauernden eint, oder ist Trauerarbeit etwas sehr individuelles?
Also als erstes wird überall inzwischen sehr betont, wie individuell Trauerarbeit ist – das ist richtig, auch die Wissenschaft räumt das so langsam ein. Aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten, sonst würden wir uns ja zusammen nicht so „wohl“ fühlen, uns zusammenraufen und suchen und uns nacheinander sehnen. Ja, wir Trauernden sehnen uns nach einander, wir brauchen uns so sehr, wir brauchen das „sich verstehen ohne große Worte“.
„Tatsächlich erzählen so viele von den Nachbarn und Freunden, die die Straßenseite wechseln, um den Kontakt zu vermeiden. Diese schlimmen Gemeinsamkeiten gibt es leider auch. Aber im Grunde ist es eben eine riesen Verunsicherung unserer Mitmenschen den Themen Tod und Sterben gegenüber. Und am Arbeitsplatz haben wir alle grosse Probleme gehabt…“
Nikola Gazzo
Aber nach jetzt fast 6-jähriger Erfahrung in verschiedenen Trauergruppen verwaister Eltern, zeichnen sich doch ein paar spezifische Faktoren ab:
Wir Trauernden kommen ja in den sogenannten „offenen Trauergruppen“ aus allen Gesellschaftsschichten und spiegeln in einer kleinen Gruppe die ganze Gesellschaft wider, denn Trauer macht ja auch vor den Schönen und Reichen nicht halt (lächelt). Und so „sortieren“ wir uns mit der Zeit zunächst mal nach Sympathie und Herkunft und dann eben auch nochmal spezifischer nach Alter der verstorbenen Kinder und nach dem „Wie“ sie verstorben sind, eigentlich nach unserem „Wie“ wir traumatisiert sind :
Die Eltern, die ihre Kinder durch Unfall und völlig unvorhergesehen verloren haben, oder die, die wochen-oder monatelang auf den Fluren der onkologischen Kinderabteilung in der Charité gelebt haben, die Eltern von durch Drogen Verstorbenen, die Eltern der Suizidenten, die Eltern, die ihre Kinder in einen Krieg verabschiedet haben… Da gibt es also einfach nochmal zusätzliche Gemeinsamkeiten.
Das „Gemeinsame“ ist natürlich und eben auch traurigerweise, wie unsere Umwelt auf uns reagiert: Oft werden wir gemieden, im Freundes- und auch Familienkreis trennt sich die „Spreu vom Weizen“, manche kommen mit unserem Schicksal überhaupt nicht zurecht, da kommen dir so Gedanken, wie: „Ist denn meine Trauer ansteckend?“ und „warum werden wir geächtet?“ Tatsächlich erzählen so viele von den Nachbarn und Freunden, die die Straßenseite wechseln, um den Kontakt zu vermeiden. Diese schlimmen Gemeinsamkeiten gibt es leider auch. Aber im Grunde ist es eben eine riesen Verunsicherung unserer Mitmenschen den Themen Tod und Sterben gegenüber.
Und am Arbeitsplatz haben wir alle grosse Probleme gehabt :
Der erste Tag am Arbeitsplatz « danach », wie wurde der Tod kommuniziert, wurde offen damit umgegangen oder wurde darüber hinweggegangen etc. Und diese Gemeinsamkeit hat mich auch dazu motiviert, hier etwas zu tun, was sinnvoll sein wird – d.h. Personalabteilungen zu beraten, auch wenn es nicht einfach sein wird, Türen aufzubekommen…
„Wir sollen und wollen nach spätestens einem halben oder einem Jahr wieder so funktionieren wie vorher. Und das ist ein mega großer Fehler, eine total falsche Einschätzung, nicht nur von den Kolleg*innen oder den Chef*innen, sondern auch von uns selbst. Wir alle leiden unter langzeitigen Traumafolgestörungen – ja, wir sind schwer traumatisiert (…)“
Nikola Gazzo

Du machst gerade eine Umfrage zum Thema Trauer im Unternehmenskontext – du hast mir gesagt, dass es zwar für valide Ergebnisse noch zu früh ist, aber dass man bereits im ein oder anderen Thema eine klare Tendenz sehen kann. Was sind für dich bisher die herausragenden Punkte?
Eine Sache, die mich ein wenig überrascht hat, und die ich selbst erst gar nicht so wahrgenommen habe, aber die uns gemein ist : Wir sollen und wollen nach spätestens einem halben oder einem Jahr wieder so funktionieren wie vorher. Und das ist ein mega großer Fehler, eine total falsche Einschätzung, nicht nur von den Kolleg*innen oder den Chef*innen, sondern auch von uns selbst. Wir alle leiden unter langzeitigen Traumafolgestörungen – ja, wir sind schwer traumatisiert: wir haben Schlaf-und Konzentrationsstörungen, flash backs, Eßstörungen, uns fehlt es an Antrieb und Energie…
Viele sind unfähig zu arbeiten, und manche arbeiten, um sich abzulenken, die Lebensstrukturen aufrecht zu erhalten, wie ich z.B. Aber da gibt es einen üblen “Set-back”, wenn man nicht auf sich achtet, oder die Umwelt nicht genug auf uns achtet, da kann verdrängte Trauer zur Zeitbombe werden.
De fakto sind die meisten Trauernden erstmal krank geschrieben und oder nehmen Urlaub, das geht eine Weil ganz gut, aber wenn nicht sofort das Hamburger Modell beantragt wird – weil es oft auch nicht kommuniziert wird – kann es schon problematisch werden z.B., wenn nach 6 Wochen Krankschreibung die Krankenkasse nicht mehr greift.
Dann müssen sich die Trauernden eine „Krankheit“ ausdenken, bzw. ein psychologisches Gutachten ausstellen lassen, was für viele ein Hindernis ist und auch ein wenig mit Scham zu tun hat. Die meisten waren ja in ihrem Leben noch nie bei Psycholog*innen oder Psychiater*innen…
Noch komplizierter wird es, wenn eine Reha beantragt werden soll – und da gibt es auch unter den Spezialisten eine Polemik, ob Trauer als „Krankheit“ bezeichnet werden kann, deren Auswirkungen einer Reha bedarf…
Es gibt übrigens in Deutschland auch einen Streit darüber, ob „andauernde, schwere Trauer“ -und das ist die Trauer um ein Kind m.E. fast immer – in die Klassifizierung von psychischen Krankheiten aufgenommen werden soll, wie es die Weltgesundheitsorganisation bereits vor einigen Jahren in die Internationale Klassifikation von Krankheiten (International classification of deseases =ICD) getan hat. Natürlich geht es hauptsächlich darum, wer die Kosten übernimmt, egal wie man Trauer klassifiziert… Und da haben alle Trauernden, die bisher meine Umfrage beantwortet haben, so ihre Schwierigkeiten gehabt.
Und deshalb plädiere ich wieder an die Personaler*innen :
An dieser Stelle können sie ohne jegliche Scheu und Samthandschuhe sehr sehr hilfreich sein: Wenn alle Informationen über gesetzliche Möglichkeiten der formalen Hilfsangebote in der Firma bekannt sind, wenn die HR*lerinnen auch wissen, was es an außerbetrieblich Hilfen gibt, z.B. die Trauergruppen, dass es professionelle Trauerbegleiter*innen gibt, dass Seelsorge sehr gut und nicht mehr das „altbackene“ Nottelefon ist, sondern die Leute dort gut geschult sind.
„Also was mich auch ziemlich gewundert hat, dass die meisten Trauernden meiner Umfrage gar nichts vom Sonderurlaub gewusst haben! Das zeigt doch schon mal, wie schlecht die Kommunikation mit den Personalverantwortlichen ist.“
NIKOLA GAZZO, berät Trauernde sowie Unternehmen
Also was mich auch ziemlich gewundert hat, dass die meisten Trauernden meiner Umfrage gar nichts vom Sonderurlaub gewusst haben! Das zeigt doch schon mal, wie schlecht die Kommunikation mit den Personalverantwortlichen ist.
Und wir können die Franzosen und Engländer für ihre Gesetzesänderungen beneiden! Das ist wirklich der erste Schritt, Trauernde und Traumatisierte zu respektieren und ihnen den Weg zurück ins Arbeitsleben und die Gesellschaft mit ein paar mehr Tagen Sonderurlaub zu erleichtern – ja es ist ein klitzekleiner erster Schritt. Der nächste wäre, wie der Deutsche Hospiz und Palliativ Verband fordert, Trauer als natürliche heilende Kraft und auch Prävention vor schwerer Depression anzuerkennen; eine heilende Kraft, die ihre individuelle Zeit, Begleitungen und Behandlungen benötigt und die dann eben auch als solche finanziert werden muss; und dass z.B. eine „Trauer Reha“ konzipiert werden müsste, die die schon bestehenden Leitlinien der Trauerbegleitung anwendet, und so verhindert wird, dass die Trauernden ein Rückenleiden oder eine andere chronische Krankheit „vortäuschen“ müssen, um eine Reha zu bekommen.
Das finde ich schon schlimm, dass man als akut Trauernde*r dann noch gezwungen wird, rumzutricksen, um eine Reha zu bekommen. Das ist doch das Letzte, wofür man in diesem Zustand noch Kraft hat. Und eine spezifische « Trauer-Reha » würde die Trauernden sicher schneller an den Arbeitsplatz zurückbringen und wie es der DHPV betont, vor Kollateralschäden, wie dem Abrutschen in eine Depression, bewahren.
„Am meisten habe ich mich nach der Rückkehr an meinen Arbeitsplatz über einen Brief einer Kollegin gefreut – das kam nicht sofort, aber irgendwann fand ich ihn auf meinem Schreibtisch. Das war ganz persönlich. Und enthielt auch ein Angebot. Das fand ich schön.“
NIKOLA GAZZO
Du coachst selbst auch Firmen bzw. gerade auch den Personalbereich beim Thema Trauerarbeit und Umgang mit trauernden Mitarbeiter*innen. Was sind die häufigsten Fragen, die dir begegnen? Und was die häufigsten Missverständnisse?
Die häufigsten Fragen beziehen sich auf die Kommunikation, schlicht und ergreifend: „Welche Worte sollen wir benutzen?“ Heute wollen sich Menschen von Formalitäten wie „Herzliches Beileid“ distanzieren, finden das altmodisch etc. – aber was ist eigentlich schlecht daran?
Ich erlebe viele Situationen, wo meine Trauer zur Sprache kommt und ich mich einer mir nicht nahe stehenden Person erkläre. Z.B. meinem neuen Zahnarzt, der mich fragt, weshalb ich 2 Jahre nicht beim Zahnarzt war. Und ich antworte: „Ich hatte posttraumatische Angstzustände, weil mein Sohn gestorben ist und konnte auf keinen Fall zum Zahnarzt kommen.“ Und der nuschelt dann irgendetwas wie: „Oh wie schlimm, so jung zu sterben“. Aber warum sagt der nicht einfach zu MIR „Herzliches Beileid“ ? Oder „Es tut mir sehr Leid“ – das wäre für mich viel angebrachter als irgendwas in sich reinzunuscheln oder noch viel, viel schlimmer: gar nichts zu sagen. Was ich auch oft erlebt habe.
Am meisten habe ich mich nach der Rückkehr an meinen Arbeitsplatz über einen Brief einer Kollegin gefreut – das kam nicht sofort, aber irgendwann fand ich ihn auf meinem Schreibtisch. Das war ganz persönlich. Und enthielt auch ein Angebot. Das fand ich schön.
Was ich oben bereits erwähnte : Man muss Trauernde immer wieder ansprechen, nicht aufgeben, wenn man abgewiesen wird. Die den Trauernden nahe stehenden Kolleg*innen sollen ruhig ein wenig hartnäckig sein, immer wieder Angebote machen, auch wenn sie abgelehnt werden. So fühlen sich die Trauernden gesehen, sind dankbar, aber können die Angebote eben noch nicht annehmen. Noch nicht. Später werden sie sie annehmen, man weiß eben nicht wann.
Und das größte Missverständnis ist, dass Trauer aufhört!
NIKOLA GAZZO, Autorin, Beraterin & Coachin
Sie hört nie auf, aber sie wird anders. Die verwaiste Mutter und Illustratorin Melanie Garanin hat vor ein paar Monaten eine herzzerreißende Graphic novel veröffentlicht, die vom Tod ihres 3-jährigen Sohns Nils handelt – das schönste, traurigste, tragischste, einfühlsamste und mutigste Buch, das ich je gelesen habe.
Und darin hat sie das Versprechen, das sie ihrem Mann abgerungen hat, inszeniert, so ungefähr mit diesen Worten : “Wir werden immer, immer traurig sein, aber lass uns versuchen, nicht immer, immer unglücklich zu sein.” Und deshalb muss man sich das als Trauernde auch zugestehen, dass man auch lachen darf, in der Trauer, weil lachen ja gesund ist !
Wenn du es runter brechen solltest: Was sind deine “Top-Tipps” zum Thema “Trauer & Tod”, die der Personalbereich im eigenen Unternehmen unbedingt umsetzen sollte?
Das wichtigste ist die Kommunikation. Wenn ein*e Mitarbeiter*in stirbt, stehen die direkten Kolleg*innen unter Schock, und das muss man einfach berücksichtigen. Da heisst es für die Personalverantwortlichen erstmal ein sehr gutes Fingerspitzengefühl zu beweisen, was zu tun ist, um den „Betrieb am Laufen zu halten“ und wie und wo man jetzt spontan was tun muss. Das reicht vom vorübergehenden Krankschreiben, über die das behutsame Versetzen der Betroffenen auf weniger exponierte Stellen und Tätigkeiten, bis hin zu Übertragung von Aufgaben der Trauernden an andere Kolleg*innen etc.
Was ich aber in meinem „Protokoll zum Umgang mit Trauer am Arbeitsplatz“ als ersten und wichtigen Schritt vorschlage: der Trauer und dem Mit-Leiden und dem „Beileid“ Raum geben. Die Situation ist: Alle Mitarbeiter*innen sind überraschender Weise mit dem Tod konfrontiert und mehr oder weniger in Schockzustand. Da laufen bei allen die ureigenen Filme und Gefühle ab. Die Erinnerung an Verstorbene der eigenen Familie, der Tod des Lieblingstiers, das man als Kind verloren hat oder eben auch das Antriggern einer alten Traumatisierung durch Tod und Sterben von Nahestehenden.
Deshalb ist es unbedingt angebracht, dieses Gefühlswirrwarr der Mitarbeiter*innen in eine „Form“ zu bringen, und dazu eignen sich eben am besten Formalitäten und Rituale:
Entweder eine kleine Zusammenkunft veranstalten, ein Buch oder ein Heft auslegen, wo die Kolleg*innen etwas Persönliches reinschreiben oder malen können, den Tag und das Datum mit allen Betroffenen absprechen, sodass Blumen und Trauerbekundungen an einem bestimmten Ort, der z.B. mit Photo der oder des Verstorbenen und mit Blumen und Kerzen dekoriert ist, herrichten, etc. Das ist keine große Sache, aber es wirkt Wunder. Denn man geht so mit dem Tod offen und „offensiv“ um, man gibt ihm Raum, man spricht über die Verstorbenen und eventuell auch wie sie gestorben sind, vermeidet Gerüchte und Spekulationen und die Betroffenen können gegebenenfalls sich auch selbst äußern, was jetzt für sie gut ist. Und man spricht über den Tod! Das ist so unheimlich wichtig !
In dem Fall, dass ein*e Kolleg*in ein Familienmitglied verloren hat, ist es wichtig, mit der Gruppe der direkt betroffenen Kolleg*innen den Tag der Rückkehr an den Arbeitsplatz der Betroffenen vorzubereiten. Das kann so ähnlich ablaufen wie oben beschrieben, das kann aber auch in einer kleinen Gruppe direkt am Arbeitsplatz der Betroffenen passieren. Wichtig ist, dass alle eine große Portion an Empathie mitbringen, die kann man auch mit Blumen oder kleinen Geschenken oder Beileids-Karten ausdrücken.
„Wie man einen Brandschutzbeauftragten, einen Gesundheitsbeauftragten hat, würde ich mir wünschen, es gäbe unter den Personaler*innen auch eine*n „Trauerbeauftragte*n“, der oder die geschult und sensibilisiert, aber vor allem informiert ist über ALLE innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Möglichkeiten und Hilfsoptionen, über die Gesetzeslage etc. und diese mit den Trauernden besprechen kann.“
NIKOLA GAZZO
Das sind so die ersten Schritte. Und mein Thema ist eben : Prävention! Wie man einen Brandschutzbeauftragten, einen Gesundheitsbeauftragten hat, würde ich mir wünschen, es gäbe unter den Personaler*innen auch eine*n „Trauerbeauftragte*n „, der oder die geschult und sensibilisiert, aber vor allem informiert ist über ALLE innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Möglichkeiten und Hilfsoptionen, über die Gesetzeslage etc. und diese mit den Trauernden besprechen kann.
Der oder die würde dann auch wissen oder von mir gebrieft werden – (lacht) dass Trauer „lebenslänglich“ ist und gelernt haben in Zukunft z.B. zu berücksichtigen, wann der Todestag oder der Geburtstag des oder der Verstorbenen war und sich dann eben nicht wundern, wenn an diesen Tagen Urlaub eingereicht wird. Und dann zwei Worte dazu sagen : « Ich wünsche Dir viel Kraft für den morgigen schweren Tag ». Das ist nur ein Beispiel. Ich biete an, ein Protokoll für den Betrieb zu erarbeiten, eine Art Krisenplan für » den Fall, dass » und ich habe eine ganze Liste von to do’s und dont’s für Kolleg*innen und Personaler*innen.
Gibt es etwas, dass dich am meisten nervt bei dem Thema Trauerarbeit? Also z.B. bestimmte Vorurteile oder Missverständnisse, denen du immer wieder begegnest…
Na ja das schlimmste für uns Trauernde ist eben diese Berührungsangst der Nicht-Betroffenen mit uns. Das gibt uns dieses schreckliche und auch nervige Gefühl des „Geächtetseins“ oder weniger krass ausgedrückt des „Ausgeschlossenseins“. Denn dies, also der Umgang mit Tod und Sterben, wird eben nirgends unterrichtet oder geübt. Deshalb machen ja Trauerbegleiter*innen und Seelsorger*innen eine Ausbildung – und das kann man ja nicht von allen Menschen verlangen.
Aber man kann, wenn man es will, als Nicht-Betroffene und Mitarbeiter*in, die ihre Empathie zeigen will, aber verunsichert ist, heutzutage sehr viel im Netz zu den Themen Tod und Trauer finden und auch in Zeitschriften nachlesen! Selbst die Frauenzeitschrift „Brigitte“ hatte vor ein paar Jahren eine Sonderausgabe zum Umgang mit Tod und Sterben herausgegeben. Seit Anfang diesen Jahres schreibt eine mir bekannte Journalistin und auch verwaiste Mutter regelmäßig Artikel über das Thema Trauer im Magazin „Spiegel“ : Trauer von Jugendlichen, das Trauern der Männer, etc. Also was vielleicht hier nervt, ist, dass es heutzutage zig Möglichkeiten gibt, sich zu informieren, um den Umgang mit Trauernden zu lernen und zu üben, aber es doch viele nicht wirklich wollen….ist halt ein unbequemes Thema, und deshalb bin ich Dir auch sehr dankbar, Eva, dass Du mir hier den Raum gibst, darüber zu reden. Vielen Dank !
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