Nach meinem Interview mit dem selbsternannten Low Performer gab es viele Reaktionen. Wieso bleibt jemand in einem Job, der ihn nicht glücklich macht? Der ihm offensichtlich mehr Unmut als Freude bereitet. Ist dieser Mensch zu bequem? Ist er zu faul? Fehlt ihm nur der berühmtberüchtigte „Tritt in den Hintern“?
Da der Kontakt auch nach dem Interview mit Low Performer erhalten blieb, konnte ich noch etwas mehr über Martin erfahren. Seine Herzensangelegenheit und Leidenschaft ist das Schreiben, das er mehr als ambitioniert verfolgt. Was lag da näher, als ihn nach einem Guestblog zu fragen?
Da ich selbst gerade vor einem großen beruflichen Umbruch stand und ich ihm davon erzählte, kam die Idee auf, darüber zu schreiben, wehalb der Eine bleibt und die Andere geht.
Und das Ergebnis ist ein sehr persönlicher Einblick:
Low Performer – oder warum der Konzern dich zu etwas überreden kann, was du vielleicht gar nicht willst und bist.
Seit knapp zwei Jahren twittere ich als Low Performer über „Interessantes aus dem Innenleben eines Großkonzerns“. Mittlerweile durfte ich auch einige Interviews geben, in denen es u.a. um meine Beweggründe und den Arbeitsalltag in „meinem Konzern“ ging. Als brennendste Frage, die man von mir beantwortet haben wollte, entpuppte sich dabei die Frage nach dem Warum?
„Warum bist du eigentlich immer noch dort, wenn der Job doch so schrecklich ist?“
Berechtigte Frage. Doch in einem Interview ist nie genug Raum, um auf eine einzelne Frage intensiver einzugehen. Deshalb jetzt dieser Artikel. Vorab ein Geständnis: es liegt nicht am Geld.
Es stimmt natürlich, dass die Bezahlung in einem Konzern besser ist als in mittelständischen oder kleinen Firmen und man mit diesem Einkommen ein gutes Polster hat, von dem man zudem weiß, dass es jeden Monat pünktlich überwiesen wird. Und genauso stimmt, dass es sich finanziell bemerkbar machen wird, wenn man die Wohlfühlzone eines Konzerns verlässt.
Trotzdem: ich pflege keinen luxuriösen Lebensstil und habe keine großen finanziellen Verpflichtungen. Außerdem kenne ich und bestimmt auch jeder andere Beispiele von Leuten, die mit weniger Einkommen gut zurechtkommen – ohne dies romantisieren zu wollen. Es ist alles eine Frage der Kalkulation und der Klarheit darüber, was einem wirklich wichtig ist.
Wenn es aber nicht das Geld oder finanzielle Verpflichtungen sind, die einen „halten“, was dann?
In einem Interview mit dem Blog Büronymus habe ich es einmal so beschrieben: „Es halten einen genau die Schäden, die durch die HORG (Anmerkung: hierarchische Organisation) entstanden sind. Es gibt nicht den einen Grund, eigentlich gibt es überhaupt keinen logischen Grund. Es ist eher wie ein Gift, das sich in den Körper schleicht: das Bauchgefühl, die innere Stabilität stirbt ab.“
Das klingt diffus. Vielleicht sogar leicht esoterisch und ganz schön nach Ausrede. Zumal bestimmt jeder jemanden kennt, der sich in der gleichen Situation zusammengerissen, hundertfach beworben und schließlich einen neue Job gefunden hat, ohne ewig über die bedrückende Situation zu lamentieren, in der er steckt. Schön. Freut mich für diese Leute. Anscheinend haben sie dann nicht mit den Schwierigkeiten zu kämpfen, von denen ich hier schreibe. Das macht meine Situation aber nicht weniger relevant.
Denn ich schreibe hier von einer besonderen Kraftlosigkeit, die einen erfasst hat. Und exakter: von einer doppelten Kraftlosigkeit. Physisch und psychisch.
Dabei ist die psychische Kraftlosigkeit die schlimmere. Denn davon erholt man sich nicht nach einer Nacht oder einem Wochenende. Diese psychische Kraftlosigkeit schlägt bei den eigenen Grundlagen zu. Sie schafft das riesige Durcheinander in einem, das einem weder vor noch zurück lässt. Plötzlich weiß man nicht mehr, was richtig und was falsch ist, was einen weiterbringt oder hindert. Das war zwar noch nie zu hundert Prozent klar, aber jetzt macht es sich insofern bemerkbar, dass man keine klaren Entscheidungen – z.B. die, einen Schlussstrich zu ziehen – mehr fällen.
Die eigene Erfahrung, das eigene Zutrauen werden permanent von einem selbst in Frage gestellt – und wieso: weil sie es waren, die einen in eine Situation gebracht haben, die letztlich in dieser Kraftlosigkeit endete. Letztlich findet man sich in einem seltsamen, beruflichen „Henne-Ei- Problem“ wieder: muss man aktiv werden, um die Kraftlosigkeit zu überwinden, oder muss die Kraftlosigkeit verschwinden, damit man wieder aktiv
werden kann?
Das Verflixte daran ist ja: der (kausale) Zusammenhang ist klar: man muss selbst aktiv werden.
Es passiert nichts von alleine. Was unklar bzw. unsicher bleibt ist aber die Reihenfolge. Wer sich noch nicht wirklich etwas unter dieser „Kraftlosigkeit“ vorstellen kann, von der ich schreibe, der muss sich nur einmal fragen, ob er das Gegenteil kennt? Ich kenne es: das war kurz nach dem Studium, als ich richtig Lust hatte, ins Berufsleben einzusteigen und ziemlich aktiv auf der Suche nach einem Einstieg war. Wohl wissend, dass es länger dauern würde als Geisteswissenschaftler, aber da gab es etwas, das mir Kraft und Mut gab: die Zuversicht, dass ich es schaffen würde. Woher ich das wusste? Ich wusste es gar nicht!Schließlich kann niemand die Zukunft vorhersagen. Ich war aber davon überzeugt, weil ich daran geglaubt habe. Anders als in der momentanen Situation.
Nun ist meine aktuelle Situation nicht so düster, wie sie durch meine Schilderung scheint. Ich weiß, dass dieser Zustand der Kraftlosigkeit kein Dauerzustand sein wird. Unglücklicherweise gibt es kein Maß dafür und bei jedem Menschen dauert sie unterschiedlich lang. Bei mir offenbar etwas länger als bei demjenigen, der direkt aktiv wird und nach weniger Wochen weg ist.
Um der Kraftlosigkeit zu entfliehen muss man – in meinem Fall nicht direkt aktiv werden; genau das ist ja das Problem – sondern sich der Aktivität annähern, also quasi etwas tun, damit man aktiv werden kann, sich ranrobben sozusagen.
Ein Freund gab mir mal den Tipp, es zunächst mit kleineren Aktivitäten zu versuchen, etwas das zwar inhaltlich mit einem Jobwechsel zu tun hat, bei dem man aber direkt ein Ergebnis sehen kann. Denn auf solchen kleinen Erfolgen kann man aufbauen: also machte ich an einem Samstag neue Bewerbungsfotos. Einer der Schritte hin zur eigentlichen Veränderung.
Und siehe da es geht voran.
HRisnotacrime – weshalb du etwas wagen musst, um dich wieder stark zu fühlen.
Gut 6 Jahre war ich in einem großen Konzern. Ich habe mir über Jahre nie viele Gedanken darüber gemacht, wie es „draußen“ so aussiehst. Das „Draußen“ ist kalt, gemein, hat keine 38 Stunden mit Überstundenabbau, keine Tarifverträge mit garantierten Gehaltssprüngen und überhaupt: DRAUSSEN – das ist doch nix. Die wollen doch alle sein, wie wir da drinnen. WIR haben die Expertise!
Rückblickend kann ich sagen, dass Jahre an Entwicklung an mir vorbeigegangen sind.
Digitalisierung, Netzwerken, Führungsstile…irgendwie kam alles nur als Grundrauschen nach „drinnen“ und hatte keine wirkliche Relevanz, weil „erstmal abwarten, bis das überhaupt vom Konzern umgesetzt wurde“.
Ich hatte mehr Downer als in 6 Jahren gut oder nötig gewesen wären. Mir wurde nichts geschenkt und ich kannte gefühlt nie die richtigen Leute, war nicht reif genug hierzu, nicht gut genug dazu…die Male, die ich versucht habe, mich über das „Schicksal Beförderung“ hinwegzusetzen und mich aktiv umgetan habe, verliefen im Sande.
Viele Jahre dachte ich, es liegt an mir. Dass ich mich nur ändern und anpassen müsse, bis es endlich klappt. Und wenn ich dann endlich „fertig“ bin mit dem Anpassen, wird mich schon jemand sehen und mich endlich fördern.
Das waren tatsächlich mal meine Gedanken – bis ich gecheckt hatte, dass ich das eigentlich überhaupt nicht will, dass mich jemand an die Hand nimmt. Dass ich mir eine klassische Konzernkarriere gar nicht vorstellen kann und dass ich in den 6 Jahren ja doch genug Entwicklungsmöglichkeiten hatte, um jetzt auch „dort draußen“ was wert zu sein. Dass ich anscheinend auch viel richtig gemacht habe in den Jahren und dass ich trotz vermeintlicher Enge genug Freiräume hatte, mir etwas aufzubauen.
Zu dem Schluss bin ich natürlich nicht von heute auf morgen gekommen. Es hat 2 Jahre an Netzwerkaufbau und guter Zusprache und auch vieler vergeblicher Bewerbungsversuche gebraucht. Aber ich habe nicht aufgegeben, weil ich irgendwann gespürt habe, dass das der richtige Weg für mich ist.
Jetzt bin ich seit einem Monat in einem komplett anderen Umfeld. Eine neue Kultur, neue Themen, neue Gesichter, neue Aufgaben – es ist natürlich noch immer sehr viel, was auf einen einprasselt. Aber (sorry an meine alten Kollegen, die ich tatsächlich ab und an vermisse) ich habe noch keinen Tag bereut, diesen Schritt gegangen zu sein.
Ich kenne das Gefühl der vermeintlichen Machtlosigkeit, die durch Hierarchie getriggert und verstärkt wird. Ich habe aber irgendwann gemerkt, dass es oft die Unzulänglichkeiten der Hierarchie sind, die nach unten weitergeleitet werden. Das mag an mangelnder Ausbildung und Auswahl der Führungskräfte liegen – ist aber auch egal am Ende. Weil ich es mir irgendwann nicht mehr gefallen lassen wollte, dass ich ständig auf der Stelle treten musste. Es macht auch irgendwann zynisch: Bin ich hier die Verrückte oder sind es die Anderen? Bin ich zu schlau und die zu doof? Irgendwie kann es das ja auch nicht sein.
Am Ende kann ich nur allen raten, die sich irgendwie gefangen fühlen in so einem Konzernleben und der damit verbundenen Denke: Vernetze dich, schließe dich mit denen zusammen, die ähnlich denken – die gibt es im übrigen auch im Konzern.
Springe über deinen verdammten Schatten und sprich Menschen an, die du spannend findest. Pflege deine Kontakte.Such dir unbedingt auch externe Impulsgeber. Gehe mit verschiedenen Menschen Mittagessen, hole dir dabei Kraft für den Arbeitstag und vor allem Inspiration zurück. Geh zu Veranstaltungen und traue dich einfach mal, Menschen anzusprechen und werde offener für deine eigenen Stärken. Lass dir auch mal wieder sagen, dass du toll, interessant oder wasweißich bist und vor allem: teile dein Wissen.
Und ja: das kostet auch Kraft, aber du wirst sehen: du bekommst mehr zurück, als du dir jetzt vorstellen kannst.
Das, was du im Konzern gelernt hast, kannst du auch in anderen Kontexten anwenden, solange du in der Lage und Willens bist, dich einer neuen Umgebung anzupassen.
Unternehmen wissen genau das zu schätzen. Was machen die 2,50 weniger im Portemonnaie, wenn du morgens wieder gerne aufstehst? Richtig: nichts! Es ist dir egal.
Es ist ganz sicher keine einfache Entscheidung und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keinen Schiss hatte, diesen Schritt zu gehen. Aber ich bin allen dankbar, die mich darin unterstützt haben- insbesondere den Kollegen und Führungskräften aus dem Konzern, die mich in meiner Entscheidung bestärkt und mir Mut zugesprochen haben. Und meinem neuen Arbeitgeber, der mir einfach einen Vertrauensvorschuss spendiert hat. Etwas, das man sich im Konzern meist erst sehr hart erarbeiten muss.
Vertrau deinem Bauchgefühl und lass den Kopf auch mal ein bisschen in den Hintergrund rücken. Lege in kleinen Schritten und in deinem Tempo los, dein berufliches Dasein zu verändern und gesteh dir zu, dass du dich auch gut fühlen darfst in deinem Job.
Viel Spaß dabei – der kommt nämlich irgendwann von ganz alleine!
Kommentar verfassen