Warum dich die Zukunft der Arbeit längst überholt hat- und was du jetzt als HR tun kannst.

Ich hatte das Glück, mich wieder einmal etwas intensiver mit Gedankenspielen zur Zukunft der Arbeit zu beschäftigen. Im Rahmen der virtuellen Ausgabe der Leitmesse „Zukunft Personal Europe“ durfte ich mit einer bunten Truppe an Mitstreiter*innen zum Thema „Zukunft der Arbeit“ Thesen in einem Thinktank erarbeiten.

Auch wenn ich dabei mal wieder gemerkt habe, dass mein Herz für die praktischen HR-Themen schlägt, fand ich es dennoch interessant, verschiedene Ansichten und Gedankenspiele zu diskutieren und weiter zu denken. Die für mich wichtigsten Erkenntnisse aus dem „ThinkTank Zukunft der Arbeit“ haue ich euch hiermit um die Ohren. Ich freue mich sehr auf eine Diskussion mit euch!


1. Die Wissenschaft wird HR nicht retten – HR muss auch selbst aktiv werden

Das Dilemma kennen wir bereits seit Eintritt der Pandemie: In der Not schauen alle auf die Wissenschaft – sie soll uns sagen, wo es langgeht. Tut sie doch sonst immer so schlau! Erforscht Jahrhunderte lang bestimmte Aspekte und Phänomene und kommt immer so klug daher: Also jetzt bitte mal die Gebrauchsanweisung für die Arbeitswelt der Zukunft raushauen!

Doch was uns seriöse Virolog*innen schon seit der Pandemie zu erklären versuchen ist: Die Wissenschaft kann nur Fakten und Tatsachen liefern. Sie kann darauf aufbauende Modelle formen um in die Zukunft zu blicken, aber diese Modelle und Voraussagen werden immer auch auf Basis der Vergangenheit gebildet. Eben inkl. mit einberechneter Wahrscheinlichkeiten, wie sich etwas entwickeln KÖNNTE.

Die Realität bewegt sich sehr viel schneller als die Wissenschaft hinterherkommt. Empirie und Validität passieren eben nicht auf Knopfdruck. Dennoch braucht es natürlich die Wissenschaft als Disziplin, um Zusammenhänge aufzuzeigen und Inspirationsgrundlagen zu liefern. Um die Dinge und Themen zu benennen und herauszuarbeiten. Wo die Wissenschaft schon auf halber Strecke ist, steht HR aber noch in der Box und wartet, bis die Mechaniker, die die Reifen aufziehen sollen, ausgebildet sind.

Aber wenn es um die tatsächliche Gestaltung bzw. die Vorbereitung des Unternehmens auf die Zukunft der Arbeit geht, muss HR auch selbst ans Ruder und mitdenken, mitarbeiten. Da führt leider kein Weg daran vorbei, wenn man in Zukunft als Disziplin überhaupt noch eine Chance haben möchte.

2. Es ist nicht nur der Toolkoffer, es ist deine Einstellung als HR!

Für die bevorstehenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt der nächsten 5-10 Jahre hast du als HRler*in kaum Methoden in deinem Toolköfferchen. Vergiss Change Management und Graswurzelinitiativen – das wird der Endgegner! Das „Problem“ der Arbeitswelt der Zukunft ist vor allem die Flexibilisierung der Arbeitswelt. Und damit ist nicht „Gleitzeit“ oder „Homeoffice“ gemeint. Darunter versteht man vielmehr die Auflösung von Unternehmensgrenzen. Arbeit wird fluide werden hinsichtlich Zeit, Ort und Organisationszugehörigkeit.

Stell dir einfach vor, du denkst nicht mehr in einer normalen Produktions- oder Prozesskette, sondern alle Themen in deinem Unternehmen als Projekte – an denen Mitarbeitende aus ganz verschiedenen Teilen der Welt, Europas oder meinetwegen Deutschlands gemeinsam arbeiten. HR hat dann eine ganz neue Rolle inne, die es sich erst selbst erschaffen muss. Was würde in solch einer fluiden Welt möglich, in der eben auch ein Maschinenführer aus Korea easy die heimische Anlage in Dingolfing bedient.

Warum sollte er das tun? Warum sollte das Unternehmen das tun?
Weil der koreanische Maschinenführer billiger ist? Weil er es besser kann? Denken wir utopisch, ist es vor allem letzteres: Er kann es technisch gesehen ohnehin schon, da die Infrastruktur bereits vorhanden ist, die es ermöglicht, dass er die Maschine auch aus Korea heraus warten und bedienen kann – und er ist dabei am besten. Vielleicht hat er ja vorher in dem Betrieb gearbeitet hat, die die Produktionsmaschine hergestellt hatte… oder er hat den Wettbewerb als weltbester Maschinenführer für genau diese Maschine gewonnen. Der deutsche Kollege übernimmt derweil vielleicht eine andere Aufgabe in diesem Produktionsprojekt oder für ein anderes Unternehmen, wo genau seine Fertigkeiten momentan gebraucht werden.

Das klingt alles gruselig oder unwahrscheinlich? Technisch ist es, wie bereits gesagt, schon möglich. Anlagen, die sich selbst überwachen und aus der Ferne wenn nötig repariert und neu justiert werden können. Operateure, die am anderen Ende der Welt Operationsbestecke bedienen, um als absoluter Spezialist bei schwierigen OPs einzuspringen…diese Zukunft ist schon da und wird schon in der Praxis erprobt.

Um in dieser neuen Arbeitskultur als HR eine Daseinsberechtigung zu haben, braucht es mehr Interesse an der Wertschöpfung des eigenen Unternehmens und auch ein Verständnis für die eigene Wertschöpfungskraft. Die Frage muss lauten: Was kann ich dem Unternehmen mit meiner Profession und Erfahrung bringen, wozu kann ich aktiv beitragen? Die Projekte richtig zu besetzen? Die besten Leute zu finden bzw. die „eigenen“ besten Mitarbeiter*innen weiter zu verleihen?

Die Personalauswahl muss flexibler und mit den richtigen Instrumenten angereichert werden, die Prozesse müssen fluide sein und ggfs. mit anderen Akteuren weltweit abgesprochen werden können. Die Arbeit muss in viel kürzeren Zyklen erledigt werden. Das geht auch für HR natürlich nur mit der entsprechenden Infrastruktur. Es muss also eine Tool-Kompetenz aufgebaut werden im digitalen Sinne, die weit über die Einführung eines digitalen Personal-Mangement-Systems oder einer Bewerber-Management-Software hinausgeht.

3. HR als „Human Relations“ wird wichtiger Faktor in der Arbeitswelt von morgen

Bei all der digitalen Hyper-Beschleunigung und der Möglichkeit, die Arbeit vollkommen Zeit- Ort- und Unternehmensunabhängig zu leisten, wird es sehr wahrscheinlich, dass der Mensch sich nach Zugehörigkeit sehnt. Urinstinkte vermag auch die „schöne neue Arbeitswelt“ nicht gänzlich auszuschalten. Der Mensch ist nich nur ein Gewohnheitstier, sondern auch ein sehr soziales.

Die Pandemie zeigt, wie sehr wir auf Geselligkeit gepolt sind. Isolation ist schwer zu ertragen, wir sehen uns nach Zugehörigkeit und Resonanz. Genau dies wird – meiner Meinung nach – ein zentraler Punkt der zukünftigen Arbeit im „Human Relations Management“. Das Knüpfen und Etablieren von persönlichen Verbindungen, die Verbindlich und Verlässlich sind. Trotz einer vielleicht nur temporären Zugehörigkeit der Mitarbeitenden zu einem „künstlichen Unternehmen“ (das nur zu einem Projektzweck erschaffen wurde). Dass sich jede*r Willkommen und gut aufgehoben fühlt. Dass es bedeutungsvolle Momente gibt, die einen Mitabreitenden daran erinnern, dass er oder sie eben doch mehr ist als nur eine 0 und 1 im Personalsystem und im Projekt.

Das wird eine schwierige wie spannende Aufgabe, in der HR in Zukunft in einer neuen „Superpower-Rolle“ alle Skills vereinen und ausbauen kann, die es meiner Meinung nach jetzt schon dringend ausbauen sollte (wenn es sie nicht schon hat!): Empathie, Verständnis für Technik und deren Auswirkungen auf den Menschen, Kollaborationskompetenz, ein starkes und vielfältiges Netzwerk in- und außerhalb des eigenen Unternehmens und die Kompetenz, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich entsprechende Unterstützung zu holen.

HR als „Human Relations“ wird in der zukünftigen Arbeitswelt einen wichtigen Stellenwert einnehmen – wenn HR als „Human Resources“ jetzt den Weg dazu ebnet. Die Zukunft der Arbeit ist NICHT Homeoffice und Laptop. Es ist auch nicht „Open Space“ oder „Virtual Learning“ – es sind viele kleine Aspekte und Stellschrauben in der Zusammenarbeit über Unternehmens- und Landesgrenzen hinweg.

Ich persönliche empfinde das per se nicht als dystopisch. Klar ist, dass unsere gesellschaftlichen Systeme und insbesondere die Sozialsysteme in solch einem Szenario mitziehen und reformiert werden müssen.

Was sagt ihr dazu?

Headerfoto von Darlene Alderson von Pexels

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6 Antworten zu „Warum dich die Zukunft der Arbeit längst überholt hat- und was du jetzt als HR tun kannst.”.

  1. Na ja, ein bisschen Wissenschafts-Bashing, ein bisschen Tool-Kritik und dann die «neue» Idee von den Human Relations…. Die stammt übrigens aus den 30er Jahren des letzen Jahrhunderts (Mayo Group) und ist nicht ganz unumstritten. Aber im Grundsatz stimme ich dem Beitrag zu: es braucht mehr HRM, aber eben nicht nur als eine eigene Abteilung, sondern als eine Haltung der konsequenten Menschenorientierung in den Köpfen aller, die Personalverantwortung tragen.

    Dazu haben wir an unserer Fachhochschule HWZ mit dem Konzept «Beyond Leadership» einen Ansatz entwickelt, der sich seit einigen Jahren in mehr als 300 praktischen Anwendungen sehr bewährt hat. Aus unserer Sicht ein Beispiel, dass die Wissenschaft durchaus auch mal etwas ebenso Aktuelles wie Sinnvolles für die Praxis beitragen kann.

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    1. Danke für deinen Kommentar, der mich doch auch stutzig macht: Wissenschaftsbashing?! Das ist auf keinem Fall meine Absicht. Bitte noch einmal den Absatz mit Ironie lesen und auch mal ein paar andere Artikel von mir überfliegen. Dann wird mein Schreibstil vielleicht etwas durchschaubarer.

      Ich sage lediglich, dass HR sich auch selbst bewegen muss, wenn es als Profession – unter welchem Namen auch immer- in Zukunft mitspielen will.

      Ich wollte auch keinen neuen Begriff einführen für etwas, dass
      es so noch nicht gibt. Ich freue mich aber, wenn das kompetente Wissenschaftler*innen übernehmen, die auch die entsprechenden Kapazitäten besitzen. Die hab ich an der Stelle mit Sicherheit nicht.

      Human Relations schien mir da erstmal angebracht. Mir is bewusst, dass der Begriff bereits besetzt ist. Das sind nur meine Ausführungen und Gedanken zu einem extrem komplexen Sachverhalt, das ist mir durchaus bewusst.

      Aber noch einmal : Mir geht es ganz sicher nicht um Wissenschaftsbashing. Im Gegenteil!

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  2. Avatar von Matthias Mölleney
    Matthias Mölleney

    Wenn Wissenschaft ihren berühmten Elfenbeinturm nicht verlässt, hast du vermutlich recht, dass sie dann Gefahr läuft, für die Fragen die Realität zu langsam zu sein. Aber mein Eindruck ist, dass Wissenschaft heute so nicht mehr funktioniert. Es ist ein dynamisches Netzwerk, in dem es natürlich als Basis die Grundlagenforschung geben muss, aber dann gibt es ganz viele gemeinsame Projekte zwischen Wissenschaft und Praxis, für die es bei uns in der Schweiz sogar eine besondere Förderungsplattform gibt, und bei der muss man den Nachweis erbringen, dass das, was erforscht werden soll, top-aktuell und praxisrelevant ist (https://www.innosuisse.ch/inno/de/home.html). Vermutlich gibt es so etwas bei euch in Deutschland auch.

    Klar, muss sich HR bewegen, aber wie wäre es denn, wenn das nicht in Abgrenzung von der Wissenschaft passiert (Zitat: «DIE WISSENSCHAFT WIRD HR NICHT RETTEN»), sondern gemeinsam? Das geht besser, schneller und macht auch noch mehr Spass.

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    1. Ja, achso – verstehe was du meinst! Den Eindruck will ich nicht vermitteln – das lässt sich ja easy korrigieren. Danke für die Hinweise.

      Ich wollte auch eher auf die hiesige Generve der Leute eingehen -insbesondere gerade in der Pandemie schön sichtbar- dass es bitte wahlweise Wissenschaft oder Staat regeln solle – und wenn das dann passiert, ist es auch nicht recht.

      Und gerade jetzt ist es ja ein riesiges Thema, dass die Leute es der Wissenschaft vorwerfen, dass es ja „doch alles anders gekommen sei“, als vorhergesagt – was natürlich so nicht haltbar ist als Vorwurf.

      Genau, wie du sagst: Statt immer nur nach Leitplanken zu schreien, kann man sich ja selbst vorwagen. Ich bin sehr für den Schulterschluss aus Wissenschaft und Praxis, aber es braucht dennoch weiterhin auch eine Autonomie der wissenschaftlichen Forschung, die sich keiner Denkbarriere der Praxis verpflichtet fühlt (Lobbyismus etc.).

      Ich wollte in diesem Gedankenspiel nur sagen: Die Wissenschaft ist schon weiter, kann aber auch nicht sagen: „Kathrin, dein Job sieht in 5 Jahren soundso aus!“ Kathrin muss das selbst als Gedankenspiel zulassen, dass sich etwas ändern wird für sie und ihre Profession – und zwar fundamental.
      Die weiteren Anregungen dazu braucht sie sogar zwingend aus der Wissenschaft. Aber ohne Lust, den Job, sich selbst und seine eigene Denkweisen zu verändern, wird das alles nichts für den/die Einzelne*n.

      Es ist ja noch eingreifender als das, was im HR gerade besprochen wird.

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  3. Hallo Eva, HR unterliegt einem Perspektivwandel inkl. eines neuen Selbstverständnisses. Herausforderungen, wie sich veränderen Berufsbilder und das dazu notwendige Know How über den Arbeits- und Kandidaten-/Bewerbermarkt, unterliegen m.E. mehr denn je HR. Es wird deren Aufgabe sein, diese Veränderungen stetig in die Unternehmen zu tragen. Dafür notwendig ist ein agiles Mindset und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Wenn HR das vorlebt und mitgestaltet, können wir die anstehenden Veränderungen ohne große Ängste meistern. Unsicherheiten und Vorurteile gibt es immer – HR muss/sollte diese auffangen und abschwächen. Bis dahin ist es ein langer Weg – aber anfangen muss man immer irgendwann – mit einer Veränderung. Warum dann nicht jetzt? Viele Grüße, Friederike 🙂

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    1. Hallo Friederike, Danke für deinen Kommentar! 🙂
      Ich seh es auch so wie du, dass HR sich gerade neu sortieren muss. Und dass viele Kolleg*innen das auch mit Nachdruck und Bravour meistern (dazu gehörst auch du)! Neue Impulse zu setzen und offen zu sein ist ganz sicher nie leicht, aber HR hat ja auch all die Jahre gelernt, gut was einzustecken und damit auch ne gute Portion Resilienz entwickelt. Ich glaube auch, dass die Profession genau jetzt zu neuer Blüte gelangen kann. Das wünsche ich mir auch sehr – ist es doch der spannendste Beruf und (wenn man Lust hat, es wirklich zu leben), ist es auch die absolute Schnittstellenfunktion im Unternehmen. Man bekommt so viel mit in allen Bereichen und kann dadurch theoretisch so viel steuern und beitragen…
      Ich bin sehr gespannt, wie HR sich verändert und ich bin total froh, dass ich wahrscheinlich und hoffentlich noch ein paar Jahrzehnte in den Bereich reingucken darf. Liebe Grüße zurück! Eva

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