Mentale Gesundheit und psychische Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz werden immer wichtiger. Im ersten Coronajahr 2020 wurde der Höchststand an psychischen Erkrankungen in der Fehltagestatistik der Krankenkassen erreicht: ca. 265 Fehltage auf 100 Versicherte! Das entspricht einer Verdopplung seit 2010. Vor allem bei Frauen gab es mehr langwierige Krankschreibungen aufgrund psychischer Belastungen. „Mental load“ ist ja nicht umsonst einer der heiß diskutierten Begriffe unserer Zeit.
Aber wenn in der HR-Abteilung die Krankschreibungen nur so reinflattern – wie soll man sich dann verhalten? Hoffen, dass es bald wieder besser wird? Aus Datenschutzgründen lieber nicht weiter bei den Mitarbeiter*innen nachhaken, was los ist? Ein paar Yogakurse anbieten, damit man wenigstens irgendwas gemacht hat?!
Lara von Petersdorff-Campen setzt mit ihrem Unternehmen „Evermood“ genau da an, wo HR manchmal ratlos ist: Sie haben eine Plattform geschaffen, die nach dem „Help-yourself-Prinzip“ funktioniert und auf verschiedene Arten Zugang zu Informationen und Hilfe für alle im Unternehmen bietet.
Dabei werden Führungskräfte als auch Mitarbeitende in die Eigenverantwortung genommen. Und damit auch People & Culture zu einem Großteil entlastet. Wie das Angebot von Evermood genau aussieht und was es genau bringt, darüber habe ich mit Lara gesprochen.
Liebe Lara, mit Evermood habt ihr quasi eine Lernplattform bzw. ein Help-Yourself-Center gebaut, wo das Thema mentale Gesundheit im Vordergrund steht. Wie kam es überhaupt dazu, dass ihr euch für diesen Bereich entschieden habt?
Angefangen hat im Grunde alles mit einem digitalen Assistenten, der Mitarbeitenden dabei half, Feedback an den Arbeitgeber mitzuteilen. Auf diese Weise wollten wir Mitarbeitenden eine Stimme geben, um schwierige Themen ohne Angst vor Benachteiligung anonym und sicher ansprechen zu können. Zuvor habe ich im Rahmen eines Praktikums selbst Diskriminierung erfahren und festgestellt, dass es keinerlei konkrete Angebote für die anonyme und sichere Aufklärung derartiger Probleme gab.
Wer ist eure Zielgruppe, wen wollt ihr mit dem Produkt erreichen?
Unsere Zielgruppe sind im Grunde Unternehmen und öffentliche Organisationen aller Größen und Branchen. Wir richten uns dabei besonders an die Personalentwicklung bzw. das Gesundheitsmanagement, da diese Bereiche dafür verantwortlich sind, ein Arbeitsumfeld und eine Kultur zu schaffen, in der Mitarbeitende gesund und leistungsfähig bleiben.
Mit Evermood ziehen wir Führungskräfte und Mitarbeitende in die Eigenverantwortung, indem wir sie befähigen, proaktiv und eigenständig Herausforderungen wie psychische Belastungen oder Konflikte im Team zu meistern. In unserer Mediathek finden
z. B. Mitarbeitende in der Produktion oder im Außendienst aber auch Führungskräfte speziell auf ihre Anliegen abgestimmte Unterstützungsangebote.

Der Gesundheitsbereich boomt momentan in Sachen Digitalisierung. Auch wenn es insgesamt in Deutschland etwas langsamer läuft (auch aufgrund der dezentralen Strukturen und dem Krankenkassen-Thema)…wie erlebst du die Reaktion von Investor*innen auf das Thema “Gesundheit/ Mental Health” – rennen die einem da gleich die Türen ein oder sind sie eher verhalten? Eventuell eben auch wegen der ganzen Regularien…?
In den letzten zwei Jahren, mitunter sicherlich auch bedingt durch die Corona-Pandemie, haben Investor:innen die Relevanz des Themas stärker für sich erkannt. Das gleiche Bild zeigt sich übrigens auch seitens unserer Zielgruppe. Während wir zu Beginn der Pandemie noch die Befürchtung hatten, dass Budgets gekürzt und Prioritäten umverlagert werden, wurde doch schnell deutlich, dass es gerade jetzt, in Zeiten vieler Unsicherheiten und neuer Arbeitsmodelle wie Remote Work, digitale Angebote braucht, um die Gesundheit von Mitarbeitenden zu schützen. Wir blicken deshalb optimistisch auf die Zukunft.
Man könnte fast meinen, dass Gesundheit für Unternehmen so ein Thema ist wie Diversity & Inclusion – man hat das halt heutzutage so, wenn man etwas auf sich hält. Wie erlebst du bzw. ihr das?
Das würde ich so nicht unterschreiben. Die Unternehmen und Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben die Wichtigkeit des Themas durchaus für sich erkannt. Aus unseren Gesprächen wird immer wieder deutlich, dass dabei gerade die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz eine immer größere Rolle spielt. Das ist auch nicht sonderlich überraschend, wenn man sich anschaut, auf welchem drastischen Vormarsch psychische Erkrankungen im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen sind. Mentale Gesundheit ist ein Thema, das jeden einzelnen von uns betrifft und so hat sich auch die Erwartungshaltung an die Kultur am Arbeitsplatz drastisch verändert. Studien zeigen, dass 86% einen offenen Umgang mit mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz erwarten.
Immer mehr Arbeitgeber erkennen die Herausforderung. Denn wenn sie den Unternehmenserfolg halten und ausbauen möchten, brauchen sie gesunde und glückliche Mitarbeitende, die nachgewiesenermaßen leistungsfähiger sind und stärker zur Wertschöpfung beitragen.
Natürlich gibt es, wie auch bei anderen Themen, auch hier vereinzelt Entscheidungsträger:innen, die Gesundheitsangebote als „Nice to have..“ ansehen. Das ist mir persönlich jedoch lieber, als wenn gar keine Angebote gemacht werden.
“Mental Health” ist ja noch einmal eine besondere Kategorie in dem Bereich Gesundheitsvorsorge und -fürsorge. Ich denke, dass die Zunahme von psychischen Krankheiten in Zusammenhang mit der Arbeitssituation ja vor allem das Symptom einer kaputten Arbeitskultur ist. Macht man da also mit solchen Produkten nicht nur Symptombehandlung bzw. maskiert die tatsächlichen Probleme?
(Bisschen nach dem Motto: “Na, also wir kümmern uns doch, wir haben doch diese Plattform!”)
Das ist ein guter Punkt, über den wir uns intern natürlich vorab auch viele Gedanken gemacht haben. Wir haben uns gefragt, wie wir ein Angebot schaffen, dass nicht reine Symptombehandlung ist, sondern einen wirklichen Beitrag für die Gesundheit von Arbeitnehmenden leistet.
Mit Evermood möchten wir deshalb nicht nur Hilfe anbieten, die dort ansetzt, wo eine Herausforderung bereits zu einer ernstzunehmenden Belastung bzw. Erkrankung eskaliert ist. Das kennt man zum Beispiel von EAPs, wo Mitarbeitende sich in der Regel dann melden, wenn die Belastung bereits zu groß ist. Stattdessen ist es uns wichtig, einen ganz grundsätzlichen Shift in der Unternehmenskultur anzustoßen und aufrecht zu erhalten.
Dadurch, dass wir mit unserer Plattform einen Safe Space schaffen, der sowohl präventive Hilfe als auch den direkten Kontakt zu Ansprechpersonen bietet, möchten wir das Stigma rund um das Thema mentale Gesundheit aufbrechen. Es geht darum, dass Mitarbeitende nach und nach Vertrauen in das Angebot aufbauen und sich trauen, offen mit Kolleg:innen und Vorgesetzten über ihre Anliegen zu sprechen. Nicht zuletzt ist deshalb auch die Kommunikation des Angebots ein ganz zentraler Teil von Evermood. So begleiten wir unsere Kunden z.B. auch mit Live-Webinaren zu Themen wie Stressprävention, positive Psychologie oder aktives Pausenmanagement. Ich bin überzeugt davon, dass sich nur mit einem solchen transparenten und ganzheitlichen Ansatz eine angstfreie und vertrauensvolle Speak-up Kultur etablieren lässt, in der Beschäftigte nachweislich glücklicher sind.
Eure Lernplattform baut ja vor allem auf Videocontent auf. Wieso habt ihr euch dafür entschieden? Ich denke manchmal so ein bisschen an das Thema “Berieselung” – wie damals in der Schule, als der Lehrer den Fernsehturm aus der Kammer rausgerollt hat und man wusste: Oh jaaa endlich ein bisschen entspannen statt die ganze Zeit mitdenken… 😉
Wie kann man da sicherstellen für sich selbst (aber auch für andere), dass da was hängen bleibt? Oder ist das vielleicht auch gar nicht Sinn und Zweck eurer Plattform?
Welche Art von Inhalten wir über die Plattform anbieten, leitet sich sehr stark vom Feedback unserer Kunden sowie der Nutzer:innen selbst ab. Hilfreiche Beiträge in Form von kurzen Videos, die to-the-point sind und praxisnahe Tipps geben, stehen dort tatsächlich immer wieder auf Platz 1 der Wunschliste. Das macht auch Sinn, wenn man sich den allgemeinen Trend im Bereich Learning & Development anschaut. In den letzten Jahren sind sogenannte Learning Nuggets, also kurze und prägnante Inhalte, die man schnell konsumieren kann, immer beliebter geworden.
Allerdings ist uns eine Vielfalt bei den Inhalten sehr wichtig, um die verschiedenen Typen in einem Team abzuholen. Während einige sich lieber über Videos informieren, lesen andere lieber einen kurzen Artikel mit den wichtigsten Punkten. Und wieder andere möchten nur einen einfachen Einstieg ins Thema, um von dort aus in eines unserer Live-Webinar, einen Workshop vor Ort oder den persönlichen Kontakt mit qualifizierten Ansprechpersonen zu gehen. All diese Pfade bilden wir in Evermood ab.

Wie erlebt ihr den Weg in die Unternehmen als junges Startup, das ein neuartiges digitales Produkt vertreibt? Hatte Corona auf euren Vertrieb einen Einfluss?
Das ist gar nicht pauschal zu beantworten. Von allgemeiner Skepsis über “noch ein weiteres digitales Tool” bis hin zur Begeisterung über das Produkt und den Leistungsumfang ist immer wieder alles dabei.
Zu Beginn der Pandemie hat uns vor allem die allgemeine Verunsicherung in der Arbeitswelt Sorge bereitet. Ganz plötzlich hatten HR- & Gesundheitsmanagement völlig neue Aufgaben und Herausforderungen, bspw. Richtlinien für die Arbeit von zuhause, neue Anforderungen an die Kommunikation innerhalb des Teams und Doppelbelastungen durch Familie und Beruf im Homeoffice. Davon abgesehen sind vielen Unternehmen die Einnahmen weggebrochen, sodass Budgets eingefroren bzw. umgelenkt wurden. Unsere Befürchtung war, dass unsere Plattform bis auf weiteres keine Priorität einnimmt.
Der Shift kam aber nur einige Wochen später. Immer mehr Unternehmen und Organisationen haben erkannt, dass unsere Plattform gerade jetzt, in Zeiten der Pandemie, der digitalen Kommunikation und des Remote Works, einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit und Zufriedenheit von Mitarbeitenden leisten kann. Als klar wurde, dass es digitale Ansätze braucht, um die Angestellten auch zuhause zu erreichen und ihnen Unterstützung für die vielfältigen und neuartigen Anliegen zu bieten, war das Interesse an Evermood noch stärker als vor der Pandemie.
Die Erkenntnis, dass unser Produkt in Krisenzeiten zu einer gesunden und glücklichen Arbeitnehmerschaft beiträgt, hat uns die Angst genommen und uns im Gegenteil sehr stolz gemacht.
Welche Fragen zu eurem Produkt würdest du am liebsten nicht mehr hören müssen und warum?
Gerade, wenn es um den präventiven Teil unserer Plattform – also die Inhalte in der Mediathek – geht, hören wir hin und wieder Fragen wie “Kann ich das nicht einfach Googlen?” oder “Können sich unsere Beschäftigten nicht einfach in ihrer Freizeit über andere Quellen mit diesen Themen beschäftigen?”
In diesen Fällen wird oft deutlich, dass keine wirkliche Motivation besteht, den Mitarbeitenden präventive Gesundheitsangebote zu machen. Damit sind wir bei deinem vorherigen Punkt, dass man “das halt einfach so hat heutzutage”.
Denn die Antwort auf die erste Frage lautet selbstverständlich “Nein.” Unsere Beiträge sind von Expert:innen recherchiert, verfasst und geprüft. Es ist eines unserer größten Anliegen, unseren Nutzer:innen wirklich hilfreiche Inhalte bereitzustellen, die sie nutzen können, um eigenständig und proaktiv mit Herausforderungen umzugehen. Wir verzichten ganz explizit auf pseudo-Selbsthilfeartikel, wie sie bei einer Google-Suche zuhauf ausgespuckt werden.
Auch die zweite Frage ist zu verneinen. Natürlich können Mitarbeitende sich in ihrer Freizeit mit ihren Anliegen beschäftigen. Es geht jedoch vielmehr darum, dass sie das Gefühl haben von ihrem Arbeitgeber gehört, verstanden und unterstützt zu werden. Das trägt nicht nur dazu bei, dass sie gesünder sind, sondern sich auch stärker mit dem Unternehmen identifizieren und länger bleiben. Gerade für die Gen-Z sind Studien zufolge Gesundheitsangebote ein must-have, wenn es um die Auswahl des zukünftigen Arbeitgebers geht.

(Bildrechte: Evermood GmbH)
Wenn ich in meinem Netzwerk schaue, dann ist das Thema Gesundheitsfürsorge eines, das als erstes hinten runter fällt in der Arbeitsbelastung von HR. (Auch leider oft zu Lasten der eigenen Gesundheit des HR-Teams). Wenn dann etwas Zeit ist oder gerade ein*e Praktikant*in verfügbar, gibt es vielleicht mal Aktionswochen, in denen ein bisschen Yoga gemacht und sich gut ernährt wird. Was würdest du dir wünschen: Wie sollte HR das Thema nachhaltig angehen?
Zunächst muss natürlich erkannt werden, wie wichtig das Thema Gesundheit schon jetzt im Arbeitsalltag ist und wie viel wichtiger es mit stetig wechselnden Arbeitsbedingungen und -modellen noch werden wird. Was wir wissen ist:
1. Seit ein paar Jahrzehnten spielt sich Arbeit vermehrt im Kopf ab. Aus diesem Shift in Richtung mentale Arbeit ergeben sich völlig neue Herausforderungen und Belastungen für Arbeitnehmende.
2. Im gleichen zeitlichen Rahmen haben Krankschreibungen aufgrund psychischer Belastungen eine immer größere Rolle im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen eingenommen. Mitarbeitende fallen öfter und länger aus.
Hieraus wird recht schnell deutlich, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen – vor allem im mentalen Bereich – essentiell sind, um die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und damit letztlich auch den Unternehmenserfolg zu gewährleisten.
Dazu braucht es meiner Meinung nach einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen, die die Vielfalt innerhalb des Teams widerspiegeln. Vereinzelte Aktionstage oder Seminare reichen einfach nicht mehr aus. Gleichzeitig werden rein digitale Angebote auch nicht ausreichen, um alle im Team abzuholen. Es braucht Angebote, die nachhaltig, ansprechend und jederzeit verfügbar sind. Nur so können HR Abteilungen die Beschäftigten effektiv erreichen.
Genau deshalb war es uns bei Evermood von Anfang an so wichtig, alle vorhandenen Angebote einer Organisation an einem Ort bündeln zu können. Egal, ob es um Workshops vor Ort, Live-Webinare, 24/7 verfügbare Artikel und Videos oder den direkten Kontakt zu Psycholog:innen und weiteren Beratungsstellen geht: HR muss Gesundheit als zentrale Säule der Unternehmenskultur etablieren und es Beschäftigten so einfach wie möglich machen, bestehende Angebote zu kennen und in Anspruch zu nehmen.
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