Einblicke in den Arbeitsalltag eines selbsternannten „Low Performers“

@Low_Performer – der Twitter-Account hat mich neugierig gemacht.  Geht es hier um Performance Management? Um Unternehmenskultur? Ist das ein echter Mensch, der da tweetet, oder eine Gruppe von Gleichgesinnten – oder gar ein Bot?

Der provokante Twitteraccount hat bei näherer Betrachtung einen interessanten Kern: Hier scheint jemand am Werk zu sein, der Kritik an Unternehmens- und Feedbackkultur übt. Was treibt jemanden dazu, seine Kritik anonym in die Welt zu tweeten? Geht es darum, einfach mal rumzustänkern und Frust abzulassen?
Mich hat das so interessiert, dass ich @Low_Performer einfach mal angeschrieben habe und erstaunlicherweise hatte ich sehr schnell eine Antwort im Postfach.

Es ist tatsächlich ein Mensch, der da twittert und er hat mir sogar seinen Namen verraten: Martin. Seit Dezember 2014 twittert Martin „Interessantes aus dem Innenleben eines Großkonzerns. Und sonstige Kommentare zur schönen, neuen Bürowelt“.

Die Tweets des selbsternannten „Low Performers“ sind eine Mischung aus Zitaten, Artikeln und persönlichen Kommentaren.
Was treibt Martin dazu, die Welt anonym an seinen Erlebnissen im Arbeitsalltag teilhaben zu lassen? Geht er intern genauso offensiv in die Kritik wie extern? Mag er seinen Job wirklich gar nicht?

Ich habe ihn einfach mal gefragt.

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Tweet von @Low_Performer

Lieber Martin, lieben Dank, dass Du Dich bereit erklärt hast zum Interview und dass Du –zumindest ein bisschen- aus der Twitter-Anonymität heraus trittst.

Dein Twitter-Name @Low_Performer suggeriert, dass Du nicht mehr viel Spaß oder Enthusiasmus an Deinem Job verspürst -trifft das zu?

Ja, leider ist das so. Und darin zeigt sich gleichsam ein doppeltes Problem: zum einen für mich als Mitarbeiter, da ich meine Fähigkeiten und Talente nicht so einsetzen kann, wie ich es gern würde. Zum anderen aber auch für den Arbeitgeber, der einen Mitarbeiter bezahlt, von dem er nicht das volle Potential abrufen kann. Wie man es dreht und wendet: Ist der Mitarbeiter unzufrieden, verlieren beide.

Bist Du jemand, der Kritik an Unternehmenskultur und Führungsverhalten auch im Arbeitsalltag laut äußert? Oder dient Dir Dein Twitter-Account als Ventil?

Nein, das tue ich nicht. Und natürlich kann man dies für feige halten. Aber dafür gibt es einen Grund: Kritik am Führungsverhalten ist schlicht und ergreifend nicht gewollt. Wird sie doch geäußert, wird sie vertuscht, klein geredet und bleibt folgenlos. Zumindest für die Führungskraft.

Ich will nicht sagen, dass das ein flächendeckendes Phänomen ist. Aber dort, wo es auftritt, – und in meinem direkten Arbeitsumfeld ist das leider so – ist es ein Problem und wird zunehmend zu einem unerträglichen Zustand. Bringt ein Mitarbeiter aber doch mal den Mut auf, direkt und offen Kritik zu äußern, muss er mit persönlichen Konsequenzen rechnen, was ich in mehreren Fällen mitbekommen habe. Da ich mir dies ersparen will, ziehe ich es vor, meine Kritik über Twitter zu äußern.

Deine Tweets lassen kein gutes Haar an Führungskräften und an der Konzernkultur…wieso bist Du eigentlich noch dabei? Oder anders formuliert: Hast Du schon mal übers Aussteigen nachgedacht?

Ja, natürlich habe ich das. Schließlich ist ja niemand Gefangener seines Arbeitsplatzes. Und auf den ersten Blick mutet es seltsam an, dass man sich weiterhin zu einem ungeliebten Job „quält“ und dies vielleicht nur mit dem klischeehaften „Schmerzensgeld“ schönredet, das man monatlich überwiesen bekommt. Was natürlich kein Argument ist.

Ich denke, dass es da ein ganzes Bündel an Gründen gibt, die alle recht vage und nicht greifbar sind, sich gegenseitig beeinflussen und für Außenstehende vermutlich gar nicht nachvollziehbar sind.

Vielleicht ist es die Unfähigkeit eine klare Entscheidung zu treffen. Also zu sagen: das war‘s, ich geh. Vielleicht zu viel an Gutmütigkeit, es doch noch einmal zu versuchen und darüber seine eigenen Bedürfnisse hinten an zustellen. Vielleicht auch fehlender Mut und letztlich auch so etwas wie verlernte Fähigkeiten – schließlich habe ich mich lange Zeit nicht mehr beworben. Vielleicht aber auch ein Zuviel an Grübelei, um nach den Gründen zu forschen, weshalb man immer noch da ist.

Letztendlich kann ich es gar nicht sagen, ganz offen gesprochen. Denn harte Fakten, die dagegen sprechen, gibt es nicht. Gab es auch noch nie. Vielleicht ist es das gleiche Erklärungsmuster, wie bei Leuten, die mit dem Rauchen aufhören wollen. Alles nur Kopfsache.

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Tweet von @Low_Performer

Du hast eine weibliche Führungskraft – das kann man Deinen Tweets entnehmen. Glaubst Du, Frauen führen anders als Männer?

Kann sein, kann auch nicht sein. Ich finde es generell falsch, bestimmten Gruppen soziale Eigenschaften zuzuordnen und diese dadurch allen Individuen dieser Gruppe zuzuschreiben. Das ist ja nichts anderes als (positive) Diskriminierung.

Beispiel ist da meine Chefin: Führt sie anders als Männer, denen man ja nachsagt, dass sie weniger emotional, weniger kommunikativ, weniger konsensorientiert und was weiß ich noch wie führen? Nein. Ganz im Gegenteil. An ihr kann ich nichts erkennen, was sie von einer „autoritären männlichen Führungskraft“ unterscheidet. Aber das sagt nichts über Frauen oder Männer im Allgemeinen aus. Nur über sie als Individuum, da sie ein altes, überkommenes Führungsverständnis für sich als „richtiges Führungsmodell“ angenommen hat. Daher sollte man nicht die Frage stellen, ob Frauen anderes führen als Männer oder umgekehrt, sondern wer als Individuum, egal ob Frau oder Mann, die Fähigkeiten besitzt, am besten mit Menschen umzugehen.

Ist das Deine erste Anstellung, in der Du momentan bist, oder hast Du schon andere Unternehmenskulturen kennen gelernt?

Im Moment ist es meine zweite Stelle, wobei ich vorher auch schon innerhalb des Konzerns, aber in einem anderen Unternehmen gearbeitet habe. Dort waren Unternehmenskultur und der Umgang miteinander jedoch ganz anders.

Was sind Deiner Meinung nach die drei wichtigsten Eigenschaften, die eine gute Führungskraft ausmachen?

Ich kann ja mit solchen listenhaften Aufzählungen nicht viel anfangen. Meistens sind diese willkürlich und suggerieren gleichsam eine Art Essenzwissen, das aber auf die Realität nicht zutreffen muss.

Stattdessen würde ich die „wichtigsten“ Eigenschaften lieber auf eine reduzieren und diese gleichsam abstrakter formulieren: „sich auf unterschiedliche und zum Teil komplizierte Menschen einlassen“. Denn das ist es, was Führung im Kern ausmacht: Umgang mit Menschen. Und die sind nicht alle so, wie man sie gerne hätte. Im Zweifel muss man jeden anders anpacken und führen. Und ja, das ist schwierig, kompliziert und ermüdend. Hat auch keiner gesagt, dass es ein Selbstläufer ist.

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Tweet von @Low_Performer

Was vermisst Du bei Deiner momentanen Führung am meisten?

Den Respekt im Umgang mit den Mitarbeitern. Und dies zeigt sich leider in so etwas Selbstverständlichem wie höflichen Umgangsformen. Dass man die Mitarbeiter in Diskussionen überhaupt zu Wort kommen lässt, sie nicht anschnauzt und im Gespräch nicht auf den Tisch haut, wenn sie anderer Ansicht sind oder offen sein Desinteresse an ihren Argumenten zum Ausdruck bringt.

Zudem vermisse ich eine gewisse Nähe zum Team sowie die Einsicht, Mitarbeiter als Menschen wahrzunehmen, anstatt sie als „fachliche Werkzeuge“ zu betrachten. Gerade letzteres ist sehr belastend für die Zusammenarbeit in einem Team, da dadurch nicht zugelassen wird, dass zwischen Führung und Mitarbeitern eine informelle und vertrauensvolle Bindung entsteht.


Wenn jetzt die berühmte „gute Fee“ käme, was müsste die ändern, dass Du Dich im Unternehmen wohl fühlen kannst?

Ich glaube, Veränderungen sollte konkret und praktisch sein, anstatt wage und theoretisch. Sonst sind sie nicht greifbar und man wird sich nie die Mühe machen, sie erreichen zu wollen. Daher wäre ich schon mit einer freien Stelle in einem anderen Team zufrieden.

Es gibt da diesen Tweet von Dir und das ist auch gleichzeitig meine nächste Frage: Was würdest Du tun, wenn Du nochmal neu anfangen könntest?

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Tweet von @Low_Performer

Ganz ehrlich: ist es nicht der heimliche Wunsch eines jeden, diese Frage mit: „Ich würde alles genauso wieder machen“ zu beantworten?

Nun, das kann ich leider für mich aktuell so nicht beantworten, aber wenn ich diese Chance bekäme – und das Wissen von heute hätte – dann würde ich, auch wenn es sich ganz platt anhört, mehr auf meine Neigungen und Wünsche hören, als auf die Ängste und Befürchtungen, die einen in einen „sicheren Job“ gebracht haben. Das heißt nicht zwangsläufig, dass einen dieser Weg ins Glück führt. Aber ich bin überzeugt, dass man so besser mit Hindernissen und Problemen zurechtkommt, weil man die Erfahrung hat, selbstbestimmter durchs Leben zu gehen.

Was würdest Du sagen, ist Dein Beitrag zur Unternehmens- und Führungskultur bei Deinem momentanen Arbeitgeber?

Ich denke, mein Beitrag zur Unternehmenskultur ist, dass ich mich nicht an der „herrschenden Kultur“ beteilige und dadurch die Kette durchbreche, durch die Druck von oben nach unten getragen wird.

Das erlebt man leider sehr häufig, dass Mittelmanager/-innen den harschen Umgangston, mit dem sie „von oben“ behandelt werden, einfach an ihre Mitarbeiter weitergeben. Dies versuche ich bewusst nicht zu machen, stattdessen im Verhalten gegenüber anderen – auch „untergeordneten Mitarbeitergruppen“ – immer fair zu bleiben. Und das absurde dabei ist, dass ich mir schon öfters habe anhören müssen, mit diesem Verhalten andere „nicht zielgenau zu steuern.“ Man beachte die Wortwahl. Man arbeitet nicht zusammen, sondern soll andere steuern. Das ist Quatsch. Man kann Menschen nicht steuern. Nur Maschinen oder Marionetten.

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Tweet von @Low_Performer


Gibt es für Dich auch positive Seiten in der Unternehmenskultur Deines Arbeitgebers?

Ja, die gibt es durchaus und das hat etwas mit dem schillerndsten Aspekt zu tun, weshalb sich viele so gerne wünschen, in einem Konzern zu arbeiten: die Sicherheit. Ich erinnere mich da an das Krisenjahr 2008, wo gerade Berufsanfänger fürchteten, die ersten zu sein, die einer Entlassungswelle zum Opfer fallen. So kam es aber nicht, da sich der Konzern große Mühe gab, möglichst allen Mitarbeitern trotz schlechter Bedingungen eine Perspektive zu geben.

Welche Rolle spielt Feedback für Dich als Arbeitnehmer? Und welche Feedbackkultur wünschst Du Dir?

Feedback ist natürlich ein wichtiger Aspekt, um sich untereinander auszutauschen, und herauszufinden, was gut oder weniger gut läuft. Es ist ein unerlässlicher Faktor, denn wenn man nicht miteinander redet, bleibt vieles unausgesprochen, staut sich auf und entlädt sich in einem Moment, der dann in der Zusammenarbeit viel kaputt macht.

Über Feedbackkultur wird ja sehr viel geredet und geschrieben. Und meistens geht es dabei um Leitlinien, in denen beschrieben wird, wie man „richtig“ Feedback geben sollte, damit es nicht falsch verstanden wird. In der Praxis erlebe ich es häufig, dass diese Leitlinien allen bekannt sind, weil die meisten entsprechende Seminare besucht haben, alle diese für richtig und wichtig halten, es aber in konkreten Situationen (wie selbstverständlich?) nicht anwenden.

Daher ist eine wünschenswerte Feedbackkultur für mich eine, in der man frei und offen sagen kann, was einem stört – auch ruhig mit einer drastischen Wortwahl – ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, wie etwas verstanden wird oder wie es ankommt oder es sprachlich filtern bzw. in die richtigen Worte hüllen zu müssen. Und zwar egal, ob zwischen Teamkollegen, vom Chef gegenüber den Mitarbeitern und selbstverständlich auch vom Mitarbeiter gegenüber dem Vorgesetzten.

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Tweet von @Low_Performer

Hand aufs Herz: Bist Du wirklich ein „Low Performer“?

Aus der Sicht von jemandem, der sich über alle Maßen reinhängt und für seinen Job lebt, ganz bestimmt. Aber die Frage ist ja, welche Maßstäbe man ansetzt. Und diese Betrachtung hat mich schlussendlich auf meinen Twitter-Namen gebracht. Ich selbst sehe mich als jemand, der seine Aufgaben engagiert macht, der aber auf einen Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben bedacht ist. Und zwar noch bevor einem etwas passiert, wie z.B. ein Burnout.

Ist das ein „Low Performer“? Eigentlich ja nicht. Aber für jemanden, der wie selbstverständlich abends erreichbar ist, am Wochenende Präsentationen vorbereitet und Emails beantwortet, und sogar während des Urlaubs Home bzw. Strand-Office  macht, bin ich auf jeden Fall ein Minderleister. Also nehme ich diesen Namen für mich an und halte den anderen dadurch den Spiegel vor, in der vagen Hoffnung, dass sie darin etwas erkennen und verändern.

Lieber Martin, herzlichen Dank für die persönlichen Einblicke und Deine Zeit!

Eine Antwort zu „Einblicke in den Arbeitsalltag eines selbsternannten „Low Performers“”.

  1. […] meinem Interview mit dem selbsternannten Low Performer gab es viele Reaktionen. Wieso bleibt jemand in einem Job, der ihn nicht glücklich macht? Der ihm […]

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