Wie werde ich eine gute Führungskraft?




Nichts beschäftigt die moderne Arbeitswelt mehr als Leadership. Mal geht es darum, Kontrolle abzugeben, mal soll man Kontrolle zu behalten. Dann soll man bitte sehr empathisch und nahbar zu sein, aber gleichzeitig auch wieder klar und zielstrebig den Weg vorgeben. Modernes Leadership ist vor allem eines: Sehr kompliziert. Man kann sich schnell in Tipps und Tricks und Ratgebern verheddern.

Jetzt habe ich selbst schon einige Jahre in verschiedenen Führungsrollen hinter mir. Ich wurde selbst geführt. Musste mit diesen und jenen Macken von Vorgesetzten klarkommen, hatte wirklich sehr schlechte Beispiele, aber auch sehr inspirierende Personen vor der eigenen Nase sitzen. Hab selbst versucht, vieles richtig zu machen, wobei auch ich natürlich viel falsch gemacht habe. Und jetzt muss ich selbst “die da oben” sein und mich damit auseinandersetzen, dass ich auch nicht alles besser, toller, innovativer, einzigartiger kann.

Wenn du nicht weißt, wer du bist, kannst du keinen Führungsstil finden.

Aber dennoch glaube ich, nach all den Jahren, die “Secret Sauce” für eine gute Führung gefunden zu haben: Sich selbst treu zu bleiben. Klingt bisschen abgedroschen, ne. Ich denke aber, es ist essentiell, dass man sich selbst und seine Macken kennt, um mit dem Druck und den Selbstzweifeln, den Erfolgen und Misserfolgen, die an jeder Ecke lauern, klarzukommen. Und das gilt nicht nur, aber eben besonders für eine Führungsrolle.

Als meine HR-Karriere als Trainee begann, war das Ziel, dass ich im Management eines Konzerns lande. Das war gar nicht unbedingt mein persönliches Ziel, ich konnte mir nicht mal richtig vorstellen, was genau man unter “Management” verstand. Meine Bewerbung war etwas unkonventioneller im Ablauf, deshalb hatte ich vor der Einladung zum Assessment Center gar nicht wirklich Zeit, mich damit auseinanderzusetzen. Es sollte mir an dem Tag des Assessments aber nicht zum Nachteil werden…

“Ich bin nicht so, wie ich gleich sein werde, ehrlich!” – wie mir ein Assessment Center nachhaltig dabei geholfen hat, Führung zu verstehen.

Ich vergesse nie das Rollenspiel “Projektleiterin und Kollegin”, das damals Teil des Assessment Centers war. Ich war die Letzte, die an der Reihe war. Vor mir waren ca. 12 Kandidat*innen, die den Rollenspiel-Raum ziemlich aufgelöst oder sauer verließen. Sie hatten es in ihren Augen nicht geschafft, die Aufgabe zu lösen. Über Art und Weise des Vorgehens durften wir nicht reden, bis alle durch waren. Also stieg für mich das schlechte Gefühl mit jeder und jedem, der/die in den Warteraum kopfschüttelnd zurückgeschlurft kam. Als ich an der Reihe war, holte mich eine sichtlich aufgelöste Rollenspielerin ab. Sie war etwas jünger als ich.

Ich muss wohl ziemlich entsetzt geschaut haben, als sie mich für den kurzen Weg vom Pausen- zum Prüfungsraum abholte. Sie mache das als Nebenjob zum Psychologiestudium, sagte sie leise. Und bevor sie mir die Tür öffnete, flüsterte sie mir zu: “Ich bin so nicht, wie ich gleich sein werde! Ehrlich! Ich muss jetzt aber so sein!” Sehr irritiert nahm ich den Platz ein, der mir zugewiesen wurde. In meinem Kopf rasten die Gedanken: “Was passiert jetzt?! Wird sie jetzt völlig durchdrehen?! Und wieso sind hier alle komplett fertig?! Wird das jetzt ne Psychonummer?!”

Zuvor war ich mir völlig sicher, dass die Rollen in dieser Übung halt einfach nur gespielt werden mussten. Aber was war jetzt eigentlich meine Rolle?! War meine Strategie, die ich mir vorher zurecht gelegt hatte, auf einmal nichtig?  Die Beschreibung, die wir als Teilnehmende zur Vorbereitung erhielten, informierte uns darüber, dass eine Kollegin (Rollenspieler 1) die Mitarbeit in einem wichtigen Projekt verweigerte. Ich als Projektleitende (Rollenspieler 2) sollte sie dazu bringen, dass sie wieder Lust hatte, mitzumachen. Blöd nur, dass ich ihr für ihre Anstrengungen weder eine Beförderung noch eine Gehaltserhöhung anbieten konnte. Die klassischen Incentives fielen also weg.

Während ich da saß und versuchte, meine Überlegungen auf dem Papier im Spiel zu kommunizieren, konnte ich diesen Satz vor der Tür nur schwer aus dem Kopf bekommen. 

Während die Rollenspielerin 1 versuchte, die Unnachgiebige zu spielen, hatte sie Tränen in den Augen. Die ganze Situation war so absurd… ich stammelte mich durch die ersten Sätze der Konversation und dann wurde es mir zu blöd. Ich wollte nicht mehr Rollenspielerin 2 sein, ich wollte Eva sein. Also ging ich auf ihre Wut und den Schmerz ein, den ich ja sehen konnte… dabei riss ich natürlich nicht die ganze Idee des Rollenspiels ein. Aber ab dem Moment, ab dem ich mich davon frei machte, dass ich etwas falsch machen könnte (war ja eh egal, weil vorher schon alle “durchgefallen” waren), konnte ich das Ruder rumreißen.


Nach kurzer Zeit im Prüfungsraum war das Spiel vorbei. Die Rollenspielerin 1 lächelte mich sichtlich erleichtert an. 

Egal wie du es machst, es ist immer an einer Stelle verkehrt. Das sollte dich aber nicht davon abhalten, etwas zu tun, das du für richtig hältst.

Als ich zurück in den Raum kam, schauten mich meine Mit-Prüflinge fragend an: “UND? Hast du es geschafft?! Du bist ja schnell wieder da!”
“Naja ich glaub schon…?” war meine Antwort, weil wir die Ergebnisse ja erst im Anschluss zum Prüfungstag bekamen, aber so vom Gefühl her war es okay. Jetzt wollten sie es aber ganz genau wissen: Was ich wie gesagt hätte, wie es bei mir ablief. Nach einem kurzen Abriss meiner Strategie fing eine der Prüflinge an zu weinen. Sie käme sich jetzt richtig dumm vor, weil sie ja alles falsch gemacht habe….

Keine Ahnung, was an diesem Tag los war, weil ich danach noch einige dieser Assessment Center von der anderen Seite begleitete und da keine Tränen flossen… aber an diesem Tag wurden meine empathischen Kompetenzen wirklich bis zum Letzten aufgebraucht. Und dass ich jetzt als letzte Errungenschaft des Tages meine unabsichtlich Mitbewerberin zum Weinen brachte, setzte dem ganzen noch die Krone auf.

Eine Führungskraft hat immer eine Rolle inne, aber eine Rolle schauspielern, das sollte sie nicht.

Ihr könnt euch vorstellen, wie es mir nach diesem Tag ging. “Maximal verwirrt” wäre untertrieben gewesen. Long story short hab ich auch den Job bekommen. Und wenn ich jetzt daran zurückdenke, ist eigentlich ist an diesem Tag alles passiert, was moderne Führungsarbeit heute ausmacht, aber auch so schwer macht.

Wenn man gezwungen ist, eine Rolle zu spielen, dann verstrickt man sich irgendwann in der eigenen Strategie. Man möchte ja etwas darstellen, was man nicht ist. Man muss sich bei jedem Schritt selbst korrigieren. Besonders zu Beginn einer Führungsposition kostet es unheimlich viel Kraft, sich in diese Rolle einzufinden. Deshalb suchen sich viele zu Beginn schnell ein Vorbild. Sei es im Unternehmen, sei es auf Youtube, Insta oder in Büchern. Viele Unternehmen bevorzugen auch Mentor*innen-Konzepte, was theoretisch auch total hilfreich ist. Was man bei den Konzepten nicht unterschätzen darf: Der Druck dahinter, dass es mit der Mentor*in dann auch klappen muss, ist aber meist enorm. Wenn man plötzlich den Vorstand vor sich hat und merkt: “HILFE, der ist ja gar nicht mein Ding!”, dann kann das noch mehr Probleme schaffen statt sie zu lösen.

Oft gibt es unterschiedliche Erwartungshaltungen im Rahmen von Mentorships. Manchmal stimmt die Chemie halt auch einfach nicht. Deshalb ist es wichtig, sich Zeit zu geben und nicht auf Teufel komm raus eine Beziehung zu erzwingen. Der/die Wunsch-Mentor*in muss nicht zwingend passend für dich sein. Mit der Zeit wirst du andere Persönlichkeiten kennenlernen und kannst dich daran orientieren. Auch außerhalb deines Arbeitsplatzes kannst du diese Menschen finden.

Du musst auf dich selbst achten, nur dann kannst du eine gute Führungskraft für andere sein.

Im hierarchischen Leadership – egal wie locker oder streng es gelebt wird – ist die Rolle der Vorgesetzten klar definiert: Sie haben bestimmte Aufgaben, darunter vor allem die Führung von ihnen “unterstellten” bzw. zugeordneten Mitarbeitenden. Es gibt je nach Unternehmensform verschiedene Vorstellungen davon, ob eine Führungskraft den Job Vollzeit oder Teilzeit machen sollte. Aber egal, ob du noch operativ mit anpackst. Führung ist ein Vollzeitjob, du wirst ihn auch in der anderen Zeit nicht los. Das sollte dir bewusst sein.

Gerade deshalb ist es wichtig, dass du dir Pausen gönnst und deinem Tun bewusste Grenzen setzt. Auch du hast einen Anspruch auf Privatleben und auf Distanz zu den Jobthemen. Du musst für deine Mitarbeitenden nicht die Welt retten, während du selbst auf dem Zahnfleisch gehst. Du darfst nicht darauf warten, dass andere deine Misere erkennen. Hilf dir selbst und sei gut zu dir. Du brauchst die Kraft besonders für die Zeiten, wo es im Team oder Job nicht so läuft. Also: Mach den Feierabend, nimm dir die Auszeit, fahr in den Urlaub!

Führungskraft zu sein bedeutet nicht, dass du zwangsläufig Distanz aufbauen musst.

Ich suche keine Freund*innen auf der Arbeit. Das klingt erstmal hart, aber das heißt nicht, dass ich nicht meine besten Freund*innen im Arbeitsumfeld gefunden habe. Und das über Hierarchiestufen hinweg. Es ist unheimlich wertvoll, gute Beziehungen im Unternehmen zu haben, die über das Erarbeiten von Themen hinausgehen. Dabei kannst du einfach selbst bestimmen, mit wem du diese Beziehungen aufbauen möchtest und mit wem nicht. Lass dir bloß keine strategischen Seilschaften einreden. Damit holst du dir nur mehr Themen ins Haus, die deinen Arbeitsalltag verkomplizieren. 

Lass dich einfach auf Menschen ein, mit denen du gut kannst, die du magst. Vertraue dir und deinen Skills, dass du mit ihnen das richtige Maß zwischen Offenheit und Formalität am Arbeitsplatz findest, ohne dass du auf eine Vulnerabilität verzichten musst. Wenn du neu in der Führungsrolle bist, wird es wahrscheinlich ein wenig dauern und vielleicht fliegst du auch mal auf die Nase. Aber sei nicht unnahbar, denn….

Kritik von den Leuten, die dich und deine Arbeit schätzen, sind dein wertvollstes Gut

Ich tat mir schon immer schwer, Kritik anzunehmen, die in meinen Augen unreflektiert daher kommt. Ich habe leider erst sehr spät gelernt, dass ich diese Kritik auch gar nicht annehmen muss. Ich kann zuhören, ich kann währenddessen abschalten…es ist nicht meine Aufgabe, den Kritisierenden zu besänftigen oder zu gefallen. Es kostet unheimlich viel Kraft, mit Kritik reflektiert umzugehen. Deshalb versuche ich, bei Kritik von Personen, die mir wohlgesonnen sind, sehr genau hinzuhören.

Das gelingt mir natürlich auch nicht immer. Schnell bin ich auf Rechtfertigung gepolt. Du kannst an solchen oder ähnlichen Mustern aber arbeiten. Ich finde es wichtig, dass mir die Arbeit auch immer ein Stück über mich selbst lehrt. Noch wichtiger ist aber, klar zu bekommen, welche Teile der Arbeitsdynamiken man annehmen möchte und welche nicht. Dennoch soll das kein Freifahrtschein sein, in eine “I do what I want”-Mentalität zu verfallen. Moderen Führungsarbeit heißt vor allem: Kollaboration und Verständnis untereinander zu fördern. Wer immer nur pusht und austeilt, hat irgendwann keine echtenAllianzen mehr. Ähnlich wie im Freundeskreis. 

Mit deiner Führungsrolle bist du nie fertig. Es gibt keine Checkliste –  und auch DU kannst dich noch verändern. Suche diese Veränderungen aktiv.

Wer immer nur tut, was er schon kann, der bleibt wie er ist. Jaja, oller Spruch, aber stimmt halt leider auch. Lass dir keine Angst einreden vor dem nächsten Schritt. Traue dir Veränderungen zu. Sei es eben den nächsten Schritt in deiner Führungskarriere, sei es, eine Veränderung in deinem Team einzuführen, offener zu sein, mehr nachzufragen…was auch immer es ist, was du all die Jahre oder Jahrzehnte nie gemacht hast, aber mal gerne ausprobieren würdest: Tu es einfach. 

Wenn du ein offenes Verhältnis zu deinem Team pflegst und auch über Niederlagen oder schlechte Zeiten sprichst, dann verlierst du die Angst davor, auch mal neue Dinge auszutesten. Lass dich von anderen challengen, sei offen und Aufmerksam und bei allem bleibt ganz wichtig: Bleibe du selbst und spiele keine Rolle. A propos Rolle: Die erfolgreichsten Führungskräfte, die ich kenne, spielen tatsächlich keine Rampenlicht-Rolle für den Erfolg ihres Unternehmens. Sie lassen ihr Team glänzen. 

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