Elternfreundlichkeit ist kein nice to have!

Kinder und Job – damit kam ich in meiner Karriere sehr schnell in Berührung. Auch als kinderlose Person kann und sollte man sich diesem Thema nicht entziehen. Und schon gar nicht als Personaler*in. Schon vor ein paar Jahren habe ich hier auf dem Blog zum Thema Frauensichtbarkeit und Frauenkarriere – gerade im HR-Bereich – geschrieben.
(Hier nochmal der Hinweis auf meine Liste „Speakerinnen in HR“ -macht euch selbst sichtbar! )
Ich habe sehr früh in meiner Karriere erlebt, wie anders Männer gegenüber Frauen in Bezug auf ihre Karriere behandelt und gesehen wurden. Wie der Führungstyp der “starken Führungspersönlichkeit” a.k.a. “hart zu sich selbst und zu allen anderen” als erstrebenswert gefeiert wurde – das Bild der patriarchalisch geprägten Gesellschaft muss auch im Unternehmen weitergeführt werden. Ende der Diskussion. Hart zu sich und anderen zu sein bedeutet eben auch, extrem hohe Leistungsbereitschaft zu zeigen. Und Leistungsbereitschaft kostet Zeit. Wer Kinder und Karriere haben möchte, braucht in solch einer Leistungskultur dann ganz klar ein Betreuungskonzept, das finanziert werden muss. Au Pairs, Nannies, Internate, Großmütter…oder der/die Partner*in übernimmt dann halt die Sorgearbeit.


Ich habe erlebt, wie man werdende Mütter oder Frauen in Elternzeit kalt stellt. Und Elternzeit beim Mann eigentlich nur okay und nicht betratschenswert fand, wenn der frisch gebackene Vater eh kurz vor dem Burnout stand. Dann hat sich nicht selten der nächsthöhere Chef mal erbarmt, “ein Gespräch unter Männern” zu führen, mit dem dezenten Hinweis, wie gut doch so eine “kleine Auszeit” wäre. Und was bietet sich besser an, als eine Elternzeit?
Aber die Elternzeit ist keine Auszeit. Auch wenn tolle Urlaubsfotos auf Instagram mit Kind und Kegel das vermuten lassen (meistens geht das eben auch nur, weil die Mutter in der Zeit die Carearbeit verrichtet, damit der Vater auch mal entspannen kann, weil er ja sonst hart arbeitet).

Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/elternteilzeitarbeit.html

Oft sind es die Frauen, die sich kümmern – und dann vom System hängen gelassen werden

Kurzum: Meine Erfahrung mit Familien-, Eltern- und Kinderfreundlichkeit in Unternehmen (Achtung: Hier natürlich harte Akademiker*innen-Brille am Start!) ist ein bunter Blumenstrauß aus schlechten Beispielen. Egal ob mit Tarifverträgen oder ohne…
Viele von uns, die nun auf 10-12 Jahre Karriere zurückblicken, sind wahrscheinlich in einem eher traditionellen Rollenbild groß geworden, zumindest wenn man in einer Kernfamilie aufwuchs. Die Mutter ging in Teilzeit, als man geboren wurde oder hörte – je nach finanzieller Situation – erstmal ganz auf mit der Erwerbsarbeit. Zumindest ein Elternteil MUSSTE zurückstecken, “ist ja klar”. 

Wenn ich an die Betreuungssituation in westdeutschen Kindergärten damals denke…also in meinem Kindergarten in der pfälzischen Kleinstadt mussten damals alle Kinder mittags abgeholt werden. Es gab dann eine Mittagsruhe, in der der Kindergarten einfach geschlossen war. Nix mit Verköstigung. Klar, das hat sich mittlerweile auch geändert, aber früher war eine Ganztagsbetreuung unheimlich schwer zu organisieren. Und so bin ich aufgewachsen. Mittags wurde ich abgeholt und ab dann musste sich meine Mutter um mich kümmern.

Oft sind es die Frauen, die sich kümmern. Auch, weil es als ihre “natürliche Pflicht“ gilt, für das Kind Sorge zu tragen. Nicht zuletzt durch die neue Rechte wird das Bild der liebevoll sorgenden Mutter weiter genährt. In den USA sieht man, welche Auswüchse das annehmen kann.
Wir in Deutschland sind natürlich privilegiert in Sachen Mutterschutz und Elternzeit. Wir haben tolle Gesetze mittlerweile, die das frisch gebackene Familienglück für beide Geschlechter zu einer durchaus abgesicherten Angelegenheit machen. Da sind wir schon sehr gut aufgestellt. Und so divers wie die Menschen sind, desto unterschiedlich zeigen sich dann auch die Bedürfnisse. Einige Frauen möchten nicht zurück in den Job, wollen sich ganz der neuen Familiensituation und dem neuen Menschen in ihrem Leben widmen. Und das ist total in Ordnung und darf auch genau so sein. Darüber sollte auch niemand urteilen. Viele Frauen, die ich in meiner Karriere kennengelernt habe, sind aber irgendwann dann auch “durch” mit reinen Hausfrauendasein und möchten wieder mehr. Nach der anfänglichen Euphorie wieder in den Arbeitsalltag zurückzukehren, fühlen sie sich schnell gefangen und eingeengt in ihrem Entscheidungsradius, was ihre Karriere betrifft. Weil für sie bereits entschieden wurde, oft in ihrer Abwesenheit.

Ihr ehemaliger Arbeitsplatz ist besetzt, die Karriere findet nicht mehr statt, Abteilungskonstellationen haben sich verändert. Prädikat: “Du bist nicht mehr wertvoll.” Nicht umsonst schießen seit einigen Jahren Jobcoaching-Angebote für Mütter wie Pilze aus dem Boden. Und wenn man sich die Statistiken zu Altersarmut ansieht, dann trifft es eben oft die Frauen. Denn wenn der Mann der Hauptverdiener ist und er – aus welchen Gründen auch immer weg bricht, bleibt die Frau in den meisten Fällen schlecht abgesichert zurück.

Carina Raddatz von Obstkäppchen im Gespräch mit mir zum Thema Altersarmut und warum diese besonders oft Frauen betrifft:

Leuchtturm-Beispiele täuschen allzu gerne über die Realität hinweg.


Wenn wir auf die Führungslandschaft, insbesondere in die Geschäftsführungsetagen von deutschen Unternehmen schauen, dann herrscht auch im Jahr 2022 noch die Regel: weiß, männlich, vollzeit. Klar, es gibt gute Beispiele, wo es schon anders versucht und umgesetzt wird und darauf sollten wir auch schauen – aber Jobsharing-Modelle bspw. sind eben immer noch Leuchtturm-Beispiele, die viel zu langsam Schule machen.

Und da ich in Berlin wohne, finde ich besonders den Blick auf die Startup-Szene spannend. Denn diese „Leuchtturm-Beispiele“ aus Familienfreundlichkeit und Vereinbarkeit sucht man gerade in diesem Feld oft vergebens. Die meisten Gründer sind (daher ohne Sternchen) nunmal auch weiß, männlich und vor allem recht jung. Sie gründen oft direkt nach dem Studium und kommen auch nicht selten aus reichem oder wohlhabendem Elternhaus. Das verschweigen gerne viele, weil es sich nicht so gut verkauft in Pitches. Vor allem nicht, wenn man ja Geld bekommen möchte. Aber die meisten Elite-Gründer-Unis sind Privatunis und kosten daher eine ganze Stange Geld – und das muss ja irgendwo herkommen. Durch diesen wohlhabenden Background ist da nicht selten auch ein anderes Verständnis von Sorgearbeit bzw. die sogenannte Care Arbeit. Geld regelt nunmal vieles, auch eine umfassende Kinderbetreuung.

Und daher ist es gerade in den erfolgreichen und jungen Startups natürlich auch erstmal gar kein Thema mit dem Kinderding. (Es sei denn die Zielgruppe für das Produkt sind Eltern und Familien…). Die Belegschaft ist meist eh jung, oft ungebunden und damit auch flexibler als in “reiferen” Unternehmen, wo die Backgrounds und die familiären Situationen der Mitarbeitenden meist diverser sind. Klaro, auch DA gibt es Ausnahmen. Bitte, das hier ist auch ein Meinungsblogpost, also ich weiß schon, dass Ausnahmen die Regel bilden. Aber ich weiß auch, dass meistens bei der ersten internen Schwangerschaft große Panik und Ratlosigkeit herrscht.
Gerade im Startup-Umfeld passiert natürlich in 6 Monaten meist so viel, dass es für 3 Jahre reicht, da behindern eben Kinder die krank sind, Eltern die Verpflichtungen haben oder die nur Teilzeit arbeiten wollen, den Betrieb.

Auch als kinderlose Person kann man die Bedürfnisse von Eltern erkennen.


Ich kenne alle Argumente, aber das wichtigste Argument ist doch: A) Waren wir alle selbst mal Kinder und man muss einfach mal zurückschauen und sich fragen, wie und warum das alles so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist und in welchem System wir uns befinden. Und B) Kann man es sich nicht mehr leisten, eine komplette Kohorte außen vor zu lassen: Die Elternteile (und eben vor allem Frauen), die sich einen Job mit Vereinbarkeit wünschen.

Als kinderlose Führungskraft bin ich eben auch oft damit konfrontiert worden, dass ich eigentlich gar keine Ahnung habe, wie das ist, sich zerteilen zu müssen zwischen zwei Welten, die an einem zerren. Die Deadline, die so rot leuchtet wie das Fieberthermometer, das die Krankheit des Kindes unmissverständlich anzeigt. Ich erwarte es aber einfach von moderner Führungsarbeit, dass man sich halt Verständnis drauf schafft, wo man vielleicht keins hat. Dazu müssen dann aber auch die Rahmenbedingungen stimmen. Was ich damit meine?

Ich habe schon erlebt, wie hochrangige Führungskräfte im Zwiegespräch weinten, als sie über ihre Kinder erzählten – weil da eben doch der Schmerz ist, nicht dabei zu sein (als Mutter oder Vater). Ich habe es schon tausendmal gelesen und gehört, wie Gründer plötzlich “ganz anders übers Elternsein” denken, aber am Ende doch die Frau daheim für alles Sorge trägt. Ich musste schon selbst als Personalerin Entscheidungen treffen, die ich nicht Elternfreundlich fand.

Es geht auch anders in Unternehmen – und das entlastet.

Ich erlebe es in meinem momentanen Umfeld, wie selbstverständlich es sein kann, in Teilzeit zu arbeiten (egal ob mit Kindern oder ohne). Dass “Kind krank” als ebendieses akzeptiert wird. Dass Care- und Sorgearbeit klar vorgeht und dafür Verständnis und Lösungskonzepte bereitliegen. Dass ein Kita-Zuschuss selbstverständlich dazugehört. Dass die Stundenkonzepte so flexibel sind, dass mir das oft niemand glaubt. Dass mein Kollege und Geschäftsführer Andi in die Buchhandlung seines Vertrauens geht und da einfach ne riesige Bücherkiste mit Kinderbüchern bestellt, um Lesefutter für die Ferien anzubieten. Dass meine Kolleg*innen Familiennachmittage organisieren, in denen man sich eben auch nicht nur als Kolleg*in, sondern auch als Vater und Mutter begegnen kann und die Kinder mal sieht, die zum Leben der Kolleg*innen dazugehören.

Auch bei uns ist natürlich auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen und Bullerbü und ich kann es natürlich nur aus meiner Brille als kinderlose Frau beurteilen – aber gerade auch mir nimmt dieser Umgang und die Akzeptanz von familiären Umständen und Verpflichtungen sehr viel Druck, weil ich generell empathisch Führen möchte.

Das gelingt mir viel einfacher in einer Umgebung, in der familiäre Verpflichtungen oder auch mal Unzulänglichkeiten aufgrund der familiären Situation ernst genommen werden. Ohne Augenrollen und dumme Kommentare. Klar, auch in meinem jetzigen Unternehmen haben wir Anforderungen an die Arbeit, es herrscht manchmal Druck von Deadlines und Projekten und natürlich ist es dann auch so, dass wieder mal die “flexibleren” Kolleg*innen einspringen, wenn Not herrscht. Aber all in all bedeutet diese Art des Selbstverständnisses von den Verpflichtungen in Arbeits- und Lebenszeit auch für mich als kinderlose Frau und Personalverantwortliche sehr viel emotionale Entlastung.

Und davon abgesehen: Welches Unternehmen kann es sich noch leisten, wichtige Fachkräfte nicht mehr zu beschäftigen, weil sie…eine Familie gründen und damit die klaffende demographische Lücke schließen…?!

Ich versteh es nicht, Leute! Es gibt auch keine sachlichen Gründe dafür, Familien und vor allem Mütter oder Frauen in Berufen zu diskriminieren. Lasst es einfach. 

Foto von William Fortunato

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Eine Antwort zu „Elternfreundlichkeit ist kein nice to have!”.

  1. Schöner Artikel, danke. Das können wir nicht oft genug sagen, schreiben, darüber reden. Da ist mit kleinen Veränderungen so viel Potenzial!

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