Remote führen – 5 Tipps aus der Praxis

Wie wahrscheinlich schon einige mitbekommen haben, habe ich seit Januar einen neuen Job. Ich darf in der Geschäftsleitung für die Bielefelder Digitalagentur comspace, gemeinsam mit 3 Kollegen, für 100 Mitarbeitende verantwortlich sein und 4 Teams enger begleiten. Das mache ich aus Berlin heraus – also remote. Ich habe mir aufgrund der Pandemie eher weniger Sorgen gemacht, wie das wohl so wird mit dem digitalen Einstieg in die Rolle. Schließlich haben meine Kolleg*innen ja auch bereits 2 Jahre im Homeoffice zugebracht. Und schließlich hat comspace mit „work from anywhere“ bereits vor meinem Antritt das Ausrufezeichen für remote Arbeit gesetzt.

Soweit so gut, but little did I know, wie es dann wirklich ist, an eine Firmenkultur auf so einem Job mit entsprechender Flughöhe anzudocken. Nun gehe ich demnächst in meinen 6. Monat des remote „Führens“ – ich sage lieber „remote Begleiten“– des Unternehmens. Warum ich „begleiten“ bevorzuge, wirst du gleich hoffentlich besser verstehen. Ich hab 5 Tipps aus der Praxis für dich, falls du dich gerade in einer ähnlichen Situation befindest und „Führen auf Distanz“ gerade dein Thema ist.

Remote Tipp #1: Lerne zuerst dein Team kennen.

Beim Einstieg ist einfach alles neu und stressig: Den Rechner ordentlich einrichten, die Tools im Unternehmen kennenlernen. Verstehen, wo du dich überall einloggen könntest, solltest….es ist einiges an Themen, mit denen du die erste Zeit in deinem neuen Job remote verbringen könntest. Zufällige Begegnungen beim Gang zur Kaffeemaschine entfallen, du hast wahrscheinlich schnell Einladungen zu Regelterminen mit deinen Teams, wo gleich operative Themen besprochen werden…ABER STOPP!

Es gibt keine verlässlichere Basis, um dir ein erstes Bild zu machen, als dein eigenes Team. Ich habe recht zu Beginn mit allen Kolleg*innen aus meinen direkten Teams einen 1:1-Termin von einer Stunde eingestellt. Ohne Agenda. Einfach zum Quatschen, einfach um sich gegenseitig Kennenzulernen. Verstehen, was mein*e Kolleg*innen momentan so bewegt und bewegt hat in der Vergangenheit.

Das war spannend und hat mir viele Perspektiven gezeigt. Dadurch dass das Gespräch offen gestaltet war, habe ich nie das selbe Gespräch geführt, hatte ich nie das Gefühl, dass ich „das ja schon wisse“. Natürlich kam an einigen Stellen auch das Thema Gehalt oder Arbeitsbedingungen auf. Ich würde empfehlen, diese Themen nicht zu leichtfertig auf „später“ zu verschieben, „wenn du erstmal richtig angekommen bist“. Später wirst du noch ganz andere Themen dazubekommen und so intensiv wie am Anfang wirst du dich hintenraus nicht mehr auf dein Team einlassen können. Also: Was du gleich regeln kannst, solltest du auch direkt regeln.

Remote Tipp #2: Richte dir Arbeitsblocker ein.

Ich habe die letzten 6 Jahre in schnellen Umgebungen und unter viel Druck verbracht. War auch in Management-Positionen. Aber ich habe dennoch unterschätzt, wie intensiv ein Einstieg so komplett remote verlaufen wird. Unterschätzt, was passiert, wenn du freimütig sagst: Stell mir einfach einen Termin ein. Ich sage dir, was dann passiert: Du hast einen absolut zerfledderten Kalender, der dir kaum Zeit lässt, mal nachzudenken. Ich arbeite auch gerne mal später, aber wenn man den ganzen Tag in Besprechungen hängt und dann ab 17:00 Uhr noch kreativ oder einfallsreich sein soll: Das klappt nicht.

Zumal Online Meetings für den Geist sehr viel stressiger sind als die Teilnahme offline. Richte dir also zunächst unbedingt (!!) den Blocker für die Mittagspause ein und auch Arbeitsblocker. Bei mir ist jeden Nachmittag ein Arbeitsblocker drin. Der darf nach Absprache mit mir überbucht werden. Ansonsten steht er aber als Konstante in meinem Kalender. Da viele Mitarbeitende aus meinen Teams nur halbtags und vormittags arbeiten, ist das bei mir der perfekte Kompromiss.

Remote Tipp #3: Nimm an keinem Meeting teil, bei dem dein Mehrwert nicht klar ist.

Ich kann sagen: Dass ich in einem Meeting war, in dem mir mein Mehrwert in Bezug auf die Teilnahme NICHT klar war, ist mir bei comspace noch nicht passiert. Ich kenne es aus Agenturen auch nicht anders, als dass man sehr bewusst mit der Zeit seiner Kolleg*innen umgeht.
Als ich damals vom Konzern in meine erste Agentur gewechselt bin, war ich sehr erstaunt, dass mir bei meinem ersten Termin, den ich sorglos über eine Stunde eingestellt hatte, erstmal nett jemand gesteckt hat, dass Stunden-Termine quasi die Ausnahme sind. Ich war verwirrt. Klar, dass man nicht immer die volle Stunde ausnutzt – aber im Konzern glich es eher einem Affront, jemandem einen Termin von 30 Minuten einzustellen.

Ich höre immer noch von Menschen, die fast den kompletten Tag in irgendwelchen Meetings hängen, in denen sie nichtmal was beizutragen haben. Die Kamera ist aus, sie liegen auf der Couch, im Bett oder stehen beim Einkaufen. Nichts gegen die Work-Life-Balance, aber Menschen so ihre Zeit zu klauen – das sorgt irgendwann für Frust auf allen Seiten. Daher: Wenn dir dein Mehrwert in einem Meeting nicht klar ist, frag nach. Andersrum solltest du dich bei allen Terminen fragen, ob der oder die Kolleg*in wirklich mit dabei sein muss. Das erleichtert allen ihr Arbeitsleben.

Remote Tipp #4: Lass los – du kannst nicht alles wissen.

Ich kann wirklich sehr schlecht loslassen bei den Themen, die mich in meiner Arbeit begleiten. Das Problem an der Führung ist ja generell: Wie schaffe ich es, nicht zum pedantischen Micromanager zu werden?! Manchmal ist es ja so, dass andere einen gefühlt regelrecht dazu drängen…. „was is denn eigentlich hiermit“, „habt ihr das jetzt schon gelöst“, „was ist denn daraus geworden?“…die Fragen können einen schonmal ins Schwitzen bringen, wenn man eigentlich jemand ist, der oder die gerne operativ arbeitet und die Dinge am liebsten selbst regelt.

Es ist remote einfach nicht möglich, überall den Überblick zu behalten. Projektmanagement-Tools und eine gute Kommunikationsstruktur sind wichtige Hilfen. Aber es fehlt einfach an dem, was man sonst so „über den Schreibtisch“ mitbekommt. Daher ist es ganz wichtig, sich selbst zu entlasten: Du musst nicht alles wissen, auch nicht als Führungskraft. Du musst nur herausfinden, wer dir Antworten geben kann. Im Bestfall schafft man dann auch gleich die Brücke zu dem, der gefragt hat und spielt nicht stille Post. Zudem ist es wichtig, eine gute Kommunikationsstruktur zu haben. Gerade bei Slack und Teams helfen einem dabei verschiedene Channel sehr, weil man dort gezielt Fragen absetzen kann – und eben nicht wieder alle mit irgendwas die Zeit stiehlt. Ich hab mittlerweile kaum noch ein Problem damit zu sagen: „Ich weiß es nicht, ich muss erst nochmal nachfragen.“ Und seit ich das mache, habe ich auf jeden Fall weniger Stress.

Remote Tipp #5: Emotionen make the world go round.

Du kennst das sicher: Du hüpfst von einem Meeting ins andere und eigentlich sitzt dir schon das nächste Thema im Nacken und gerade klingelt auch noch das Telefon und du bist mitten in der Besprechung…jetzt mal tief durchatmen.
Klar, das Team möchte Entscheidungen haben oder Themen klären, aber ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, auch mal abseits einen kleinen Witz zu machen, oder trotz Terminstress nach zu horchen, wie es denn so geht, was los ist, wie man das Wochenende verbracht hat. Oder es kurz zu teilen wenn man gerade sehr angespannt oder gestresst ist….


Wer mich kennt der weiß: Ich rede gerne und manchmal vielleicht auch zu viel. Aber in den vergangenen 5 Monaten habe ich gelernt, wie wichtig es ist, persönliche Sichtweisen zu teilen oder auch Stimmungen im Team, im Unternehmen, in der Geschäftsleitung zu besprechen und transparent zu machen. Transparenz herzustellen..das hätte ich jetzt auch als Punkt 5 nehmen können, aber das sagt sich so leicht und ist dennoch so schwer, weil jede*r etwas anderes darunter versteht.

Für mich ist Transparenz auch: Ein echtes Lachen, ein ehrlicher, fröhlicher oder auch trauriger Moment, den man teilt oder den man erfährt – diese Sachen können mehr Transparenz herstellen, als der 50. Chartsatz. Es stärkt auch das Gefühl für- und miteinander und ist für mich ein wichtiger Antrieb in meiner Arbeit. Schließlich sind wir ja Menschen und keine Maschinen. Hab gehört, dass das auch für Führungskräfte gilt – egal ob remote oder vor Ort. 😉


Was sagst du? Hast du noch weitere Tipps und Hacks? Ich freue mich sehr über Kommentare und Eindrücke!

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2 Antworten zu „Remote führen – 5 Tipps aus der Praxis”.

  1. Vielen Dank für den tollen Beitrag zu diesem aktuellen Thema. Corona hat wirklich alles verändert. Wir bei uns erlauben leben es bereits. Einer unserer Mitarbeiter ist gerade in Spanien und arbeitet von dort aus. Seine Familie macht parallel Urlaub. Das macht die Mitarbeiterführung nicht gerade einfach, aber es ist möglich.

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  2. Danke für fünf Tipps zum Remote Führen, die so wertvoll sind. Dank dieses tollen Artikels habe ich neues Know-how erworben. Ich wünsche https://hrisnotacrime.com/ weiterhin viel Erfolg!

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